Verlustlisten

Tausende Familienväter, Brüder und Söhne fallen im Krieg

»Nachricht vom Schlachtfeld – Gefallen!«. Zeichnung im »Wahren Jacob«, Nr. 735, vom 18. September 1914, S. 8470.

»Nachricht vom Schlachtfeld – Gefallen!«. Zeichnung im »Wahren Jacob«, Nr. 735, vom 18. September 1914, S. 8470.

Von den Kämpfen an der Front erfuhr man in der Heimat nur durch die Feldpost und die Nachrichtenmeldungen, wobei beides der Zensur unterlag. Unzensiert traf der Schrecken des Kriegs ein, wenn der Postbote die Todesnachricht überbrachte. Da dies nun immer häufiger passierte, sorgten sich die Angehörigen auch, wenn längere Zeit keine Nachricht aus dem Feld eintraf. Beim zentralen Nachweisbüro des Kriegsministeriums häuften sich die Anfragen, sodass diese kaum beantwortet werden konnten. Die vom »Reichsanzeiger« veröffentlichten und durchnummerierten Verlustlisten wurden in den Anfangstagen des Kriegs vielfach in der Zeitung abgedruckt. Da diese in ihrem Umfang aber bald so zunahmen, dass ihr Abdruck den Großteil eines Blattes ausgemacht hätte, wurden nur noch ausgewählte Teile veröffentlicht. Umfangreichere Listen wurden vor den Redaktionen und Verkaufsstellen ausgehängt.

Auszug aus der Verlustliste Nr. 26 der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 18. September 1914.

Auszug aus der Verlustliste Nr. 26 der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 18. September 1914.

Meldung des Kriegsministeriums in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 12. September 1914.

Meldung des Kriegsministeriums in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 12. September 1914.

Links zu den Quellen: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 18. September 1914 und »Volksstimme« (Magdeburg) vom 12. September 1914.

Rettung der Internationale?

Die Gegnerinnen und Gegner der Kriegskredite formieren sich

Schon unmittelbar nach der Bewilligung der Kriegskredite hatten sich in der Wohnung Rosa Luxemburgs enttäuschte Sozialdemokraten getroffen. Mit der Zeit stießen weitere Kriegsgegner hinzu. Das Ziel der Gruppe um Luxemburg, Karl Liebknecht, Hermann und Käte Duncker, Clara Zetkin und anderen war es, den Krieg zu beenden und die Sozialistische Internationale aufrechtzuerhalten. Dazu verabredeten sie, die Kontakte zu Sozialistinnen und Sozialisten im nun – nach offizieller Lesart – feindlichen Ausland weiter zu pflegen und gemeinsam gegen den Krieg zu agitieren. Aus dieser »Gruppe Internationale« entwickelte sich ab 1916 die »Spartakusgruppe« und ab 1918 der »Spartakusbund«. Am Freitag, den 18. September 1914, notierte Arthur Crispien:

»Besprechung in Frankfurt a.M. Teilnehmer: Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht (Berlin), Dr. Paul Lewi [Levi], [Robert] Dissmann (Frankfurt a.M.), [Friedrich] Schnellbacher, Dr. [Georg] Wagner (Hanau), Peter Berten (Düsseldorf), C. [Karl] Minster (Duisburg), Crispien (Stuttgart). Beschlossen, Verbindungen anzuknüpfen und die Rettung der Internationale vorzubereiten, die Schmach von der zertrümmerten Internationale zu tilgen.«[1]

Schon am Vortag hatten Crispien, Luxemburg und Liebknecht beschlossen, am 21. September 1914 in Stuttgart eine Parteiversammlung »Gegen die Annektionshetze!« zu organisieren. Diese wurde allerdings vom militärischen Generalkommando verboten. Crispien wurde offiziell mit Zwangsmaßnahmen und Strafe gedroht, wenn er weiterhin in Vorträgen, Versammlungen, Abhandlungen oder auch nur Inseraten die »Interessen des Reiches schädigen« würde.[2]

Käte und Hermann Duncker um 1900. Beide zeichneten sich vor dem Krieg durch rege Vortragstätigkeiten für die Sozialdemokratie aus. Nach dem 4. August 1914 schlossen sie sich der linken innerparteilichen Opposition um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA040305.

Käte und Hermann Duncker um 1900. Beide zeichneten sich vor dem Krieg durch rege Vortragstätigkeiten für die Sozialdemokratie aus. Nach dem 4. August 1914 schlossen sie sich der linken innerparteilichen Opposition um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA040305.

[1] Tagebucheintrag vom 18.9.1914, 1/ACAA000006, Nachlass Arthur Crispien, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[2] Einträge vom 17.9., 21. 9. und 25.9.1914, ebd.

Krieg als Unterhaltung?

An der »Heimatfront« wird der Krieg trivialisiert

Obwohl der Bevölkerung trotz Zensur und Propaganda die furchtbaren Folgen des Kriegs immer deutlicher vor Augen traten, wurde der Krieg an der sogenannten Heimatfront auch als unterhaltsames Ereignis behandelt. Besonders in Werbeanzeigen und im Unterhaltungsteil der Zeitungen finden sich triviale Darstellungen, die im krassen Widerspruch zu den Meldungen über Verluste und Zerstörungen stehen. Es wurden Kriegswitze abgedruckt, Lichtbildschauen vom »Kriegsschauplatz« beworben und »Erfrischungsprodukte« für den Soldaten im Feld angepriesen. Allerdings sind diese Phänomene weniger durch eine herrschende Kriegsbegeisterung zu erklären, sondern stellten vielfach einen speziellen Umgang mit dem Grauen, welches zugleich faszinierte und Angst machte, dar.16.9. Krieg als Ereignis 1_Volksstimme (Magdeburg)_Sozialdemokratie1914

»Kriegshumor« und »Kriegs-Erfrischungen« – Unterhaltungsrubrik und Anzeige der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 16. September 1914.

»Kriegshumor« und »Kriegs-Erfrischungen« – Unterhaltungsrubrik und Anzeige der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 16. September 1914.

»Die interessanten Kriegsbilder aus Lüttich u. Brüssel muß man gesehen haben. […] Die im Bilde vorgestellten furchtbaren Wirkungen der 42-cm-Mörser sind gewaltig.« – Anzeige in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 16. September 1914.

»Die interessanten Kriegsbilder aus Lüttich u. Brüssel muß man gesehen haben. […] Die im Bilde vorgestellten furchtbaren Wirkungen der 42-cm-Mörser sind gewaltig.« – Anzeige in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 16. September 1914.

Im »Lübecker Volksboten« wurde am 16. September 1914 unter der Rubrik »Heiteres« eine Zuspitzung der deutschsprachigen italienischen Satirezeitschrift »Travaso« zur Stärke der russischen Armee wiedergegeben.

Im »Lübecker Volksboten« wurde am 16. September 1914 unter der Rubrik »Heiteres« eine Zuspitzung der deutschsprachigen italienischen Satirezeitschrift »Travaso« zur Stärke der russischen Armee wiedergegeben.

Links zu den Quellen: »Volksstimme« (Magdeburg) und »Lübecker Volksbote« vom 16. September 1914.

Kriegsschuld

Belgische und französische Sozialisten klagen Deutschland als Friedensbrecher an

Trotz der Versuche, die Genossinnen und Genossen in den Nachbarländern von der schwierigen Position der deutschen Sozialdemokratie zu überzeugen und um Nachsicht in der Berichterstattung zu bitten, veröffentlichten belgische und französische Sozialisten im Namen des Internationalen Sozialistischen Büros einen Aufruf »An das Deutsche Volk«, der das Deutsche Reich als Aggressor des Kriegs benannte und die Verbrechen gegen die belgische Zivilbevölkerung anklagte. Dieser wurde zuerst in niederländischen Zeitungen abgedruckt und sollte als Flugblatt über den deutschen Truppen abgeworfen werden.[1] Davon erfuhr der SPD-Parteivorstand Anfang des Monats und verfasste am 9. September 1914 eine Gegendarstellung:9.9. Kriegsschuld_Aufruf gegen ISB 1_Luebecker Volksbote 11.9._Sozialdemokratie1914

Die Gegendarstellung des SPD-Parteivorstands aus dem »Lübecker Volksboten« vom 11. September 1914.

Die Gegendarstellung des SPD-Parteivorstands aus dem »Lübecker Volksboten« vom 11. September 1914.

Nach Versenden der Gegendarstellung appellierte der Parteivorstand an die sozialdemokratischen Zeitungen, den Aufruf der Belgier und Franzosen nicht mit abzudrucken. Dem folgten nicht alle Blätter: Die »Schwäbische Tagwacht« und deren Redakteur Arthur Crispien, welcher mit Rosa Luxemburg und Clara Zetkin in der Ablehnung des Parteikurses übereinstimmte und sich mit ihnen austauschte, hatte beide Aufrufe abgedruckt.[2] Eduard David, der die innerparteiliche Opposition gegen den Krieg um Luxemburg, Zetkin, Karl Liebknecht, Georg Ledebour und den Vorsitzenden Hugo Haase misstrauisch verfolgte, hatte am 2. September notiert:

»Deutschland wird darin [im vom ISB unterzeichneten Aufruf] als der Friedensbrecher, die Franzosen und Belgier als Kämpfer für Demokratie und Freiheit hingestellt. Unser Kampf gegen den russischen Despotismus und das Bündnis der Westmächte mit ihm bleiben unerwähnt. Der deutsche Parteivorstand will eine geharnischte Gegenkundgebung loslassen. – Haases Stellung im Parteivorstand erscheint immer isolierter. – Ich vermute, daß die Franzosen und Belgier von Rosa Luxemburg usw. angestachelt worden sind.«[3]

[1] Vgl. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 30f.
[2] Tagebucheintrag vom 12.9.1914, 1/ACAA000006, Nachlass Arthur Crispien, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[3] Vgl. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David, S. 31.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 11. September 1914.

Sendboten ins Ausland

SPD versucht die internationalen Kontakte nicht völlig abreißen zu lassen

Obwohl der Kriegsausbruch den Zusammenhalt der europäischen Arbeiterparteien tief zerrüttet hatte, versuchte der SPD-Parteivorstand auch weiterhin Verbindungen ins Ausland aufrechtzuerhalten, zumal immer mehr Nachrichten eintrafen, die darauf hindeuteten, dass die Sozialistische Internationale zunehmend entlang der nationalen Gräben zu zerreißen drohte. Schon Ende August hatte der Parteivorstand Philipp Scheidemann in die Niederlande, Albert Südekum nach Italien und den gebürtigen Schweden Wilhelm Janson nach Stockholm gesandt. Anlass war ein Brief vom Vorsitzenden der niederländischen Sozialdemokratie Willem Hubert Vliegen aus Amsterdam, der Entsetzen über die deutschen Gräueltaten in Belgien äußerte. Die Entsandten sollten die Genossen vor Ort bitten, ihre Presse neutral zu halten, um solche »Gerüchte« nicht weiter zu befördern.[1] Währenddessen war Hermann Molkenbuhr bereits am 12. August nach Zürich gereist, um dort Otto Braun abzulösen. Er blieb vier Wochen. Am 8. September 1914 notierte er in sein Tagebuch:

»Ach, wie hat diese politische Lage dort [in Zürich] die Köpfe verwirrt. Die braven Genossen wünschen einen Sieg Frankreichs, Englands und Deutschlands. Sie übersehen ganz, daß es in dem Krieg nur zwei Machtgruppen gibt. Deutschland und Österreich einerseits und Rußland, Frankreich, England, Belgien, Serbien und Japan andererseits. Die Siege Frankreichs und Englands wären auch Siege Rußlands, Serbiens und Japans. Ebenso wäre es umgekehrt. Frankreich kann von Deutschland besiegt werden. Würde Rußland Deutschland und Österreich niederwerfen, dann würde Österreich Länderstrecken an Italien und die Balkanstaaten abgeben müssen, Rußland würde auch einen Teil von Deutschland, in erster Linie Königsberg und Danzig nehmen, und Frankreich würde trotz seiner Niederlagen das linke Rheinufer erhalten. Schwer ist es, den guten Leuten diese Konsequenzen begreiflich zu machen.«[2]

Im Verlauf des Septembers wurde seitens des Parteivorstands versucht, von der Schweiz aus – mithilfe des Schweizer Sozialdemokraten Herman Greulich – auch mit Vertretern der französischen Sozialisten in Kontakt zu kommen, was jedoch scheiterte.[3]

Der Gründer der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz: Herman Greulich um 1914. Rechte: gemeinfrei. Quelle: Wikipedia.

Der Gründer der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz: Herman Greulich um 1914. Rechte: gemeinfrei. Quelle: Wikipedia.

[1] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 261f.
[2] Vgl. Bernd Braun/Joachim Eichler (Hrsg.), Arbeiterführer – Parlamentarier – Parteiveteran. Die Tagebücher des Sozialdemokraten Hermann Molkenbuhr 1905 bis 1927, München 2000, S. 230.
[3] Vgl. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 32; vgl. auch den Eintrag zum September 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.

Keine Beteiligung an Jugendwehr

SPD-Parteivorstand und Zentralstelle für arbeitende Jugend lehnen Kriegserziehung ab

In einer gemeinsamen Sitzung von SPD-Parteivorstand und der von Friedrich Ebert geleiteten »Zentralstelle für die arbeitende Jugend« wird eine Beteiligung an der Jugendwehr einstimmig abgelehnt. Die Ziele der Jugenderziehung (Entflammen und Hingabe für Vaterland, Kaiser und Reich sowie die Entfachung von Zorn gegen den Feind) entsprächen nicht den Vorstellungen der Sozialdemokratie, so die Begründung. Am 16. August 1914 hatte die preußische Regierung eine Verfügung erlassen, die alle Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr zu militärischen Hilfsdiensten verpflichten sollte. Diese Militarisierung der Jugend war schon vor Kriegsausbruch mit Besorgnis verfolgt worden. Obwohl Anhänger des rechten Parteiflügels wie Eduard David deutlich für eine Beteiligung eintraten, wurde auch bei einer erneuten Abstimmung im Oktober 1914 dagegen votiert.[1]

Plakat aus Stuttgart mit dem Aufruf, sich zur Jugendwehr anzumelden. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Plakat aus Stuttgart mit dem Aufruf, sich zur Jugendwehr anzumelden. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Vgl. Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 93, Anm. 33. Zu der Position Eduard Davids vgl. dessen Tagebuchaufzeichnungen: Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 33f.

Eine andere Position zur Jugendwehr vertrat etwa der württembergische Sozialdemokrat Hermann Mattutat in den »Sozialistischen Monatsheften«, er befürwortete eine Beteiligung der Arbeiterjugend: Hermann Mattutat, Jugendwehr und Arbeiterbewegung, in: Sozialistische Monatshefte, 1914, H. 20, S. 1240–1246.