Kriegsspiele

Bezirksleitungen der Jugendausschüsse lehnen militärische Früherziehung der Jugend ab

Am 25. Oktober 1914 beschloss eine Konferenz der Bezirksleitungen der »Jugend-Ausschüsse«, sich nicht an der Unterstützung militärischer Jugendkompanien zu beteiligen.[1] Schon Anfang September hatten sich der SPD-Parteivorstand und die »Zentralstelle für die arbeitende Jugend« gegen kriegerische Erziehung ausgesprochen. Damit blieb die Partei ihrem schon vor dem Krieg gültigen Grundsatz, eine Militarisierung der Jugend zu verhindern, treu. Die Jugendkompanien waren meist an Turn- und Sportvereine angegliedert, basierten auf freiwilliger Teilnahme und sollten durch Wehrübungen propagandistisch und körperlich auf einen späteren Kriegseinsatz vorbereiten. Geübt wurden Exerzieren, Entfernungsschätzen, Marschieren und der Umgang mit Waffen – Inhalte, die auf die Jugend wenig motivierend wirkten, weshalb die Kompanien auch außerhalb des Arbeitermilieus nicht den gewünschten Erfolg verbuchen konnten.[2]

»Krieg ist kein ›Spiel‹« – Mahnung des »Lübecker Volksboten« vom 27. Oktober 1914, Kriegsspiele der Kinder zu unterbinden und sie stattdessen zu gegenseitiger Hilfsbereitschaft zu erziehen.

»Krieg ist kein ›Spiel‹« – Mahnung des »Lübecker Volksboten« vom 27. Oktober 1914, Kriegsspiele der Kinder zu unterbinden und sie stattdessen zu gegenseitiger Hilfsbereitschaft zu erziehen.

[1] Vgl. den Eintrag zum 25. Oktober 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.
[2] Vgl. Peter Tauber, Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland, Berlin/Münster 2008, S. 153f.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 27. Oktober 1914.

Ausschluss aus der Internationale?

Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Büros erwägen den Hauptsitz zu verlegen, andere möchten die SPD ausschließen

Am 17. Oktober 1914 besuchte der niederländische Sozialist Pieter Jelles Troelstra den Parteivorstand der SPD, um mit diesem über die Verlegung des Sitzes des Internationalen Sozialistischen Büros (ISB) von Brüssel nach Den Haag zu verhandeln. Troelstra hatte diesbezüglich bereits mit skandinavischen Sozialisten korrespondiert und plante nach seinem Besuch in Deutschland, die schwedischen und die schweizer Genossinnen und Genossen aufzusuchen. Letztere hatten gemeinsam mit den Italienern Bern als Alternative vorgeschlagen. Im Falle einer Verlegung des Sitzes in die Schweiz befürchtete Otto Braun jedoch, dass das ISB eine reine »Filiale« der französischen Sozialisten werde. Schon die im Namen des ISB von belgischen und französischen Sozialisten erhobenen Vorwürfe einer deutschen Kriegsschuld hatten die SPD-Führung verärgert. Nun waren zudem noch Äußerungen belgischer Sozialisten bekannt geworden, die Deutschen seien allesamt Verbrecher und Dummköpfe und die SPD solle aus der Internationale ausgeschlossen werden.

Der Angliederung des ISB an die niederländische Partei stimmte man seitens des SPD-Parteivorstands für die Dauer des Kriegs zu. Das Vorhaben Troelstras, möglichst bald eine Friedenskonferenz abzuhalten, wurde kritischer bewertet.[1] Das Festhalten am Burgfrieden und die Verpflichtung gegenüber der eigenen Nation überwogen. Ähnlich dachte man in Frankreich. Jean Longuet schrieb am 19. Oktober in der »L’Humanité«, dass ein Kongress unter den derzeitigen Bedingungen verfrüht wäre. Zunächst müsse – nach all dem vergossenen Blut und den Tränen – eine Entscheidung erfochten werden.[2]

Otto Braun vertraute seinen Tagebuchaufzeichnungen seine Skepsis gegenüber Troelstras Einschätzung der Situation an:

»Ich kann auch Tr.[oelstra] in der Beurteilung dessen, was nach dem Kriege kommt, nicht zustimmen. Er meint, ein entscheidender Sieg wäre uns deshalb nicht zu wünschen, weil er den deutschen Imperialismus und Militarismus zu sehr stärken würde, eine Niederlage Deutschlands sei aber im Interesse des deutschen Proletariats noch weniger erwünscht. Am günstigsten wäre eine unentschiedene Sachlage, die einen Kompromissfrieden zeitigt und weiter eine innerparlamentarische Konferenz auslöst, die die allgemeine Abrüstung anzubahnen hätte, die dann nach der Schwächung aller Nationen nach den grossen Verlusten Aussicht auf Erfolg hätte. Ob in den anderen kriegführenden Ländern die Hoffnungen Troelstras Aussicht auf Verwirklichung haben, kann ich nicht beurteilen. In Deutschland, glaube ich aber, würde so ein unentschiedener Ausgang des Krieges, so ein Versumpfen nichts weiter als einen latenten Kriegszustand zur Folge haben. Nicht abrüsten, sondern ein noch wahnsinnigeres Wettrüsten als bisher würde einsetzen, um die ausgebliebene Entscheidung nach einigen Jahren in einem noch entsetzlicheren Kriege zu erzwingen.«[3]
Im Januar 1915 trafen sich in Kopenhagen Vertreter der skandinavischen und der niederländischen Sozialisten zu einer Friedenskonferenz. Mit dabei waren Pieter J. Troelstra, Hjalmar Branting, Thorvald Stauning und auch Carl Legien. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA069194.

Im Januar 1915 trafen sich in Kopenhagen Vertreter der skandinavischen und der niederländischen Sozialisten zu einer Friedenskonferenz. Mit dabei waren Pieter J. Troelstra, Hjalmar Branting, Thorvald Stauning und auch Carl Legien. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA069194.

[1] Vgl. zum gesamten oberen Abschnitt den Eintrag vom 17. Oktober 1914, Otto Braun, Tagebuch, S. 58f., Nachlass Otto Braun, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[2] Vgl. Parteiangelegenheiten, in: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 29. Oktober 1914.
[3] Eintrag vom 17. Oktober 1914, Otto Braun, Tagebuch, S. 60 (Unterstreichung im Original).

Antwerpen kapituliert

Die deutsche Armee rückt in Antwerpen ein, die Einwohner fliehen

Nach wochenlanger Belagerung und massivem Artilleriebeschuss kapitulierte am 10. Oktober 1914 der Bürgermeister der belgischen Stadt Antwerpen vor den deutschen Truppen. König Albert I. hatte nach langem Zögern am 6. Oktober den Rückzug befohlen. 30.000 Soldaten flohen in Richtung Niederlande, etwa ebenso viele wurden zu Kriegsgefangenen. Der Großteil der belgischen Armee, welche von 2.000 britischen Soldaten unterstützt worden war, zog sich nach Flandern zurück. Die belgische Regierung flüchtete über Ostende nach Le Havre.[1] Die Einnahme der Stadt wurde im Kaiserreich als Vorbote des Sieges gedeutet. Als sich die Nachricht verbreitete, läuteten im ganzen Land die Kirchenglocken. Otto Braun schrieb dazu am 16. Oktober 1914 in sein Tagebuch:

»Vor einer Woche wurde Antwerpen genommen, wobei sich wieder die gewaltige Wirkung unserer Belagerungsgeschütze gezeigt hat. Die armen verrannten Belgier hätten sich auf Geheiss der perfiden Engländer noch bald ihr ganzes Antwerpen in Trümmer schiessen lassen. Schaden genug ist entstanden. Eingejagt durch die ihnen aufgebundenen Schauermären über die deutschen Barbaren sind sie zu Hunderttausenden nach Holland geflüchtet. Für das kleine Land eine schlimme Last. So erfreulich der Fall Antwerpens ist, dass man mich deswegen mitten in der Nacht durch Glockengeläute aus dem Schlaf störte, hat mich doch geärgert. So bedeutungsvoll ist diese verhältnismässig kleine Episode für den Ausgang des Weltkrieges doch wahrlich nicht.«[2]
Den Vorwürfen, deutsche Soldaten hätten Kriegsgräueltaten begangen, begegnete man im Kaiserreich ungläubig. Karikatur aus dem »Wahren Jacob«, Nr. 738, Ende Oktober 1914, S. 8501.

Den Vorwürfen, deutsche Soldaten hätten Kriegsgräueltaten begangen, begegnete man im Kaiserreich ungläubig. Karikatur aus dem »Wahren Jacob«, Nr. 738, Ende Oktober 1914, S. 8501.

Gustav Noske hatte schon am 9. Oktober Gerüchte über den Fall Antwerpens vernommen und brach am folgenden Tag mit dem Auto dorthin auf:

»Sonnabend, 10.10.
Antwerpen in deutschem Besitz. […]
Vorbei an Waelchem, dann durch total zerschossene Dörfer, Schweine rennen umher, tote Kühe und Pferde strecken Beine hoch. Von Einwohnern nichts zu sehen. Wenig von unseren Soldaten.
Dann kommen Orte, die wenig oder gar nicht gelitten haben, sie sind dicht mit Soldaten besetzt. Die inneren Forts werden sichtbar. Belgische Fahne weht noch. Auf Wall einsam deutscher Posten. Zugänge zur Stadt verbarrikadiert. Wir Umweg über Flugplatz. Bleiben im Sand stecken. Dann weiter. Balken hemmen die Fahrt. Einer wird ausgegraben. Dann hinein in die Stadt. Hindurch durch Truppen. Einige Häuser zerschossen, Straßen durch Granaten aufgewühlt. Viele belgische Fahnen wehen. Unbeschreibliches militärisches Gewimmel. Vor Königsschloß nimmt General mit Stab im Dunklen Parade ab. Links lohen die Flammen. Singend ziehen Truppen hinter Fahne her. Waren erhebende Augenblicke.«[3]
Die Einwohner von Antwerpen flüchten vor den deutschen Granaten. Gemälde des deutschen Marinemalers Willy Stöwer (1864–1931). Rechte: gemeinfrei. Quelle: Wikimedia Commons.

Die Einwohner von Antwerpen flüchten vor den deutschen Granaten. Gemälde des deutschen Marinemalers Willy Stöwer (1864–1931). Rechte: gemeinfrei. Quelle: Wikimedia Commons.

[1] Laurence van Ypersele, Antwerpen, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn/München etc. 2003, S. 336–337.
[2] Eintrag vom 16. Oktober 1914, Otto Braun, Tagebuch, S. 58, Nachlass Otto Braun, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[3] Eintrag vom 10. Oktober 1914, Gustav Noske, Kriegstagebuch 1914, masch. Abschrift, Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Weitere Quellen: Berichte Gustav Noskes über den Beschuss Antwerpens im »Lübecker Volksboten« vom 13. Oktober 1914 und zum »Einzug in Antwerpen« im »Lübecker Volksboten« vom 15. Oktober 1914.

Marsch der Verwundeten

SPD-Kriegsberichterstatter Gustav Noske gewinnt Eindrücke der Zerstörung

Die Eisenbahn beförderte nicht nur Tausende Soldaten und Unmengen von Munition an die Fronten, mit ihr kamen auch immer mehr Schwerverwundete zurück. Einen unmittelbareren Eindruck des Kriegsgeschehens konnten sich die Kriegsberichterstatter Gustav Noske und Adolph Köster machen. Ende September hatten sie das von deutscher Artillerie zerschossene Fort Boissois und die von der Zivilbevölkerung weitgehend verlassene und stark zerstörte Stadt Maubeuge besichtigt. Der für die sozialdemokratischen Zeitungen abgefasste Bericht Noskes beschrieb die Vernichtungsgewalt der Granaten eindrücklich. »Daß Menschen inmitten solcher Verheerungen nicht wahnsinnig werden, ist kaum zu begreifen« – so der SPD-Reichstagsabgeordnete.[1]

Noch am selben Tag reisten die »Spezialberichterstatter«, wie sie in der Presse genannt wurden, auf der Lokomotive eines Munitionszugs weiter nach Cambrai. Dort angekommen notierte Noske am Samstag, den 3. Oktober 1914 in sein Tagebuch:

»Kaffee im schmutzigen Quartier. Idylle am Markt. Viele Truppen, friedlicher Handel, in der Mitte preußischer Gendarm. Wir kauften wunderbare Birnen. Besahen die Stadt. Über der Stadt sahen wir einen Doppeldecker. In der Ferne wieder Kanonendonner.
Sehr viele Verwundete in den Straßen. Kamen zum Teil zu Fuß vom Gefecht. Gräßlich die blutigen Verbände. Was wir an Äußerungen über Krieg hörten, klang nicht begeistert. Ein Schrei nach dem Ende der Greuel und Entbehrungen.
Dann kamen lange Wagenreihen mit Verwundeten. Vor Bahnhof Automobile mit Verwundeten. Kameraden und Pfleger nahmen sich der Verwundeten liebevoll an. Verletzte trugen Beinkranke. Fürchterlich sahen Leute mit Kopfschüssen aus.«[2]

Den Anblick Hunderter verwundeter marschierender Soldaten fasste Noske für die Zeitungen wie folgt in Worte: »Dies Bild ist wirklich Krieg, der Krieg, wie er immer war, nur so viel Mal größer.«[3]

Karte des Kriegsgebiets in Nordfrankreich im »Lübecker Volksboten« vom 3. Oktober 1914 (farbige Markierung hinzugefügt).

Karte des Kriegsgebiets in Nordfrankreich im »Lübecker Volksboten« vom 3. Oktober 1914 (farbige Markierung hinzugefügt).

»Verwundetentransport« – Gedicht aus dem Simplicissimus, abgedruckt in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 1. Oktober 1914.

»Verwundetentransport« – Gedicht aus dem Simplicissimus, abgedruckt in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 1. Oktober 1914.

3.10. Bahnhof Diksmuide_Nachlass Gustav Nocke_AdsD

Zwischen dem 20. Oktober und dem 18. November 1914 fanden in Flandern heftige Kämpfe mit schwersten Verlusten auf allen Seiten statt. Im Nachlass Gustav Noskes finden sich Fotografien der Zerstörung welche wahrscheinlich auf einer späteren Reise gemacht wurden. Hier der Bahnhof von Diksmuide und das zerschossene »Yzer Magazyn« im Ort Vladslo. Quelle: Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Zwischen dem 20. Oktober und dem 18. November 1914 fanden in Flandern heftige Kämpfe mit schwersten Verlusten auf allen Seiten statt. Im Nachlass Gustav Noskes finden sich Fotografien der Zerstörung welche wahrscheinlich auf einer späteren Reise gemacht wurden. Hier der Bahnhof von Diksmuide und das zerschossene »Yzer Magazyn« im Ort Vladslo. Quelle: Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] [Gustav Noske], Ein Ausflug nach Maubeuge, in: »Lübecker Volksbote« vom 8. Oktober 1914.
[2] Eintrag vom 3. Oktober 1914, Gustav Noske, Kriegstagebuch 1914, masch. Abschrift, Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[3] [Gustav Noske], Hinter der großen Schlacht an der Aisne, in: »Lübecker Volksbote« vom 14. Oktober 1914.

Links zu den Quellen: »Lübecker Volksbote« vom 3. Oktober 1914 und »Volksstimme« (Magdeburg) vom 1. Oktober 1914.