Bericht des SPD-Parteivorstands zum abgelaufenen Geschäftsjahr 1913

Die sozialdemokratische Parteipresse erreicht fast 1,5 Millionen Abonnenten

Die Berliner Lindenstraße 2–4: Sitz des SPD-Parteivorstands, der Parteischule, der »Vorwärts«-Buchdruckerei und der »Vorwärts«-Redaktion. Rechteinhaber nicht ermittelbar.

Die Berliner Lindenstraße 2–4: Sitz des SPD-Parteivorstands, der Parteischule, der »Vorwärts«-Buchdruckerei und der »Vorwärts«-Redaktion. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nach dem jährlichen Bericht des SPD-Parteivorstands an den Parteitag vom 31. März 1914 betrug die Zahl der Parteimitglieder im Frühjahr 1.085.905, darunter 174.754 Frauen. Bei diesen Zahlen waren die während der Roten Woche geworbenen Mitglieder erst zum Teil berücksichtigt worden. Die Zahl der Bildungsausschüsse betrug 854, die der Jugendausschüsse 837. Die Ausschüsse zählten insgesamt 19.107 Mitglieder. In 252 Orten arbeiteten Kinderschutzkommissionen.

Nicht nur der Organisationsgrad, auch die Verbreitung der Parteipresse konnte erfolgreich ausgeweitet werden: der »Vorwärts« hatte 161.000, »Die Neue Zeit« 10.600, »Die Gleichheit« 125.000, die »Arbeiter-Jugend« 102.726, »Der Wahre Jacob« 366.000, die »Kommunale Praxis« 3.574 und die 14-täglich erscheinende »Sozialdemokratische Parteikorrespondenz« 5.500 Abonnenten. Die Parteipresse erreichte insgesamt 1.488.345 Abonnenten, täglich erschienen 91 sozialdemokratische Zeitungen und die SPD besaß allein 65 Druckereien.[1]

Sozialdemokratische Presse als Waffe für Aufklärung, Recht und Freiheit: Die »Volkswacht« (Westpreußen) rief am 3. April 1914 zur Werbung weiterer Abonnenten auf.

Sozialdemokratische Presse als »Waffe« für Aufklärung, Recht und Freiheit: Die »Volkswacht« (Westpreußen) rief am 3. April 1914 zur Werbung weiterer Abonnenten auf.

[1] Vgl. Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.

Link zum Aufruf: »Volkswacht« (Westpreußen) vom 3. April 1914.

Mehr zur Geschichte der Lindenstraße 2–4: Gedenktafeln in Berlin.

Mehr zur Geschichte der SPD-Parteizentralen: Parteizentralen im Spiegel der Geschichte.

Karl Ryssel gewinnt Reichstagsmandat

Eduard von Liebert unterliegt bei der Stichwahl zum Reichstag in Borna-Pegau

Karikatur zur Wahl in Borna-Pegau aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8303.

Karikatur zur Wahl in Borna-Pegau aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8303.

Bei einer Stichwahl im Reichstagswahlkreis Borna-Pegau in Sachsen wurde der bisherige Abgeordnete, der Vorsitzende des »Reichsverbands gegen die Sozialdemokratie« Eduard von Liebert, vom sozialdemokratischen Kandidaten Karl Ryssel geschlagen. Liebert war bis 1901 Gouverneur der Kolonie ›Deutsch-Ostafrika‹ gewesen und agitierte ab 1904 mit seinem militaristisch orientierten Verband gegen die Sozialdemokratie. Seit 1907 saß er für die Deutsche Reichspartei im Parlament. Bei der Nachwahl am 17. März hatte Liebert 8.629, der nationalliberale Kandidat 6.512 und Ryssel 12.077 Stimmen erhalten, was eine Stichwahl erforderlich machte. Da die Nationalliberalen ihre Wähler aufforderten, für Liebert zu stimmen, war das Stichwahlergebnis mit 14.321 Stimmen für Ryssel gegen 12.731 Stimmen für die Reichspartei eine Überraschung.

Kurzporträt des neuen Reichstagsabgeordneten Karl Ryssel aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8302.

Kurzporträt des neuen Reichstagsabgeordneten Karl Ryssel aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8302.

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 27. März 1914.

»Die im Schatten leben«

Bei einem Rezitationsabend in Berlin wird das Bergarbeiterdrama von Emil Rosenow vorgetragen

Bekanntmachung in der »Buchbinder-Zeitung« vom 22. März 1914.

Bekanntmachung in der »Buchbinder-Zeitung« vom 22. März 1914.

In seinem 1899 verfassten Drama »Die im Schatten leben« erzählt Emil Rosenow die Geschichte einer Arbeiterfamilie, die in der Arbeiterkolonie eines Steinkohlebergwerks nahe Dortmund lebt. Harte und riskante Arbeit, Armut, Sorgen und Abhängigkeiten bestimmen den Alltag in dieser bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Milieustudie. Während die Geräusche des Werkes und das Aufflammen des Hochofens die Szenerie bilden, vollzieht sich eine Familientragödie. Durch ein Unglück im Schacht verliert die Arbeiterwitwe Lückel ihren Schwiegersohn und durch die Arglist eines jungen Millionenerben und eines Diakons die Gunst ihrer drei Töchter. Ihr 17-jähriger Sohn wird bei dem Unglück schwer verletzt und arbeitsunfähig. Zu allem Überdruss droht ihr der Betriebsdirektor mit der Kündigung ihrer Witwenrente und dem Verlust der bescheidenen Hütte innerhalb der Arbeiterkolonie. Die scharfe Kontrastierung zwischen den Gesellschaftsschichten und die darin enthaltene Kritik führte zur Zensur des Dramas. Wie Rosenows andere Werke wurde es erst acht Jahre nach seinem Tod im Jahr 1912 veröffentlicht.

Als jüngster Abgeordneter wurde der Sozialdemokrat Emil Rosenow 1898 in den Reichstag gewählt und behielt den Sitz bis zu seinem frühen Tod – 1904 starb er mit nur 33 Jahren.

Als jüngster Abgeordneter wurde der Sozialdemokrat Emil Rosenow 1898 in den Reichstag gewählt und behielt den Sitz bis zu seinem frühen Tod – 1904 starb er mit nur 33 Jahren. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Link zur Quelle: »Buchbinder-Zeitung« vom 22. März 1914.

Urteil gegen »Volkswacht«-Redakteur

Verantwortlicher Redakteur Franz Förster wird zu Gefängnisstrafen verurteilt

Auszug aus dem strafrechtlich relevanten Artikel der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 7. Januar 1914.

Auszug aus dem strafrechtlich relevanten Artikel der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 7. Januar 1914.

Obwohl auch die sozialdemokratische Presse seit Ende des ›Sozialistengesetzes‹ 1890 offiziell wieder dem Gesetz über die Presse unterlag, barg diese Arbeit für Publizisten noch immer immense persönliche Risiken. Erst kürzlich war der verantwortliche Redakteur der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete, Franz Förster, von der Strafkammer in Breslau zu drei Wochen Gefängnis verurteilt worden. Wegen »Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen« saß er am 24. März erneut vor Gericht. Laut Anklage war in einem »Volkswacht«-Artikel vom 7. Januar 1914 mit der Überschrift »Sturm Heil!« die Bildung von Landsturmvereinen, den im Deutschen Reich gesetzlich verankerten Vereinen aller Wehrpflichtigen, die nicht Teil des Heeres waren, verhöhnt worden. Das Gericht verhängte dafür sechs Wochen Gefängnis. Im Anschluss an die Verhandlung musste sich Förster wegen zweier Artikel, durch welche sich ein Rechtsanwalt beleidigt fühlte, erneut verantworten. Sein Versuch, das Gericht aufgrund der vorherigen Urteile gegen ihn als befangen und als Gegner der Sozialdemokratie zu erklären, scheiterte. Die Richter verhängten wegen der Beleidigung des Anwalts zusätzlich zwei Monate Gefängnis und eine Geldstrafe von 50 Mark.

Links zu den Quellen: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 25. März 1914 und »Lübecker Volksbote« vom 27. März 1914.

Gedenken auf dem Friedhof der Märzgefallenen

Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erinnern in Berlin an die Opfer des 18. März 1848

Illustration: »Angriff der Dragoner auf das unbewaffnete Volk vor dem königlichen Schloße zu Berlin, am 18. März« 1848. Rechteinhaber nicht ermittelbar.

Illustration: »Angriff der Dragoner auf das unbewaffnete Volk vor dem königlichen Schloße zu Berlin, am 18. März« 1848. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Am 18. März 1848 hatte das preußische Militär eine Volksversammlung auf dem Berliner Schlossplatz mit Gewalt aufgelöst. Daraufhin war es in der Stadt zu heftigen Barrikadenkämpfen mit mehr als zweihundert Toten gekommen. Für die zivilen Opfer war im neuen Volkspark Friedrichshain eigens eine Grabstätte errichtet worden, die sich zu einem zentralen Erinnerungsort der Revolution von 1848/49 entwickelte.[1] Das Gedenken an die Märzgefallenen entwickelte sich speziell innerhalb der Sozialdemokratie zu einer festen Tradition. Die alljährliche Versammlung auf dem Ehrenfriedhof Friedrichshain war sowohl Demonstration für demokratische Grundrechte und soziale Gerechtigkeit als auch Protest gegen die Obrigkeit; so auch 1914. Die Gedenkfeier wurde zwar nicht untersagt, aber dennoch kritisch beäugt und von der Polizei scharf überwacht. Dabei achteten die Beamten auf einen geordneten Ablauf und zensierten jede gegen das Kaiserreich gerichtete politische Botschaft auf Plakaten oder Kranzschleifen. Nach einem Bericht des »Lübecker Volksboten« wurden am 18. März 1914 von 150 der über 350 Kränze die Spruchbänder durch die Ordnungsmacht abgetrennt.[2]

Polizisten überwachen die Kranzniederlegung für die Märzgefallenen auf dem Ehrenfriedhof Friedrichshain, um 1910. Rechteinhaber nicht ermittelbar.

Polizisten überwachen die Kranzniederlegung für die Märzgefallenen auf dem Ehrenfriedhof Friedrichshain, um 1910. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Vgl. zur Erinnerungskultur: Claudia Klemm, Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen 2007, insb. S. 588ff.

[2] »Lübecker Volksbote« vom 20. März 1914.

Mehr zum Friedhof der Märzgefallenen: Erinnerungsorte der Sozialdemokratie.

Die Rote Woche geht zu Ende

Rekordhafter Abonnentenzuwachs durch erfolgreiche Agitation

Danksagung für die erfolgreiche Agitation in Lübeck im »Lübecker Volksboten« vom 17. März 1914.

Danksagung für die erfolgreiche Agitation in Lübeck im »Lübecker Volksboten« vom 17. März 1914.

Die breit angelegte Agitation vor und während der Roten Woche war ein voller Erfolg: Insgesamt konnten 148.109 neue Mitglieder gewonnen werden. Mit über einer Million Mitgliedern war die SPD mit Abstand die größte aller Parteien. Zudem war es der sozialdemokratischen Parteipresse gelungen, 83.784 neue Abonnenten zu werben. 1914 erschienen in Deutschland etwa 3.894 verschiedene Zeitungen mit einer Gesamtauflage von rund 18 Millionen Exemplaren.[1] Damit befand sich das Zeitungswesen in Deutschland auf einem ersten Höchststand an Auflagenstärke und Vielfalt, welcher lediglich in der Weimarer Zeit nochmals gesteigert wurde. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 erreichten etwa 1.500 Zeitungstitel eine Gesamtauflage von gut 22,2 Millionen verkauften Exemplaren pro Erscheinungstag.[2]

[1] »Solidarität« vom 17. Januar 1914, S. 6.

[2] Anja Pasquay, Zur wirtschaftlichen Lage der Zeitungen in Deutschland 2013, Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 17. März 1914.

Quelle zur Roten Woche: Robert Schmidt, Ein Rückblick auf die Rote Woche, in: Sozialistische Monatshefte, 1914, H. 9, S. 531–533.