SPD versucht die internationalen Kontakte nicht völlig abreißen zu lassen
Obwohl der Kriegsausbruch den Zusammenhalt der europäischen Arbeiterparteien tief zerrüttet hatte, versuchte der SPD-Parteivorstand auch weiterhin Verbindungen ins Ausland aufrechtzuerhalten, zumal immer mehr Nachrichten eintrafen, die darauf hindeuteten, dass die Sozialistische Internationale zunehmend entlang der nationalen Gräben zu zerreißen drohte. Schon Ende August hatte der Parteivorstand Philipp Scheidemann in die Niederlande, Albert Südekum nach Italien und den gebürtigen Schweden Wilhelm Janson nach Stockholm gesandt. Anlass war ein Brief vom Vorsitzenden der niederländischen Sozialdemokratie Willem Hubert Vliegen aus Amsterdam, der Entsetzen über die deutschen Gräueltaten in Belgien äußerte. Die Entsandten sollten die Genossen vor Ort bitten, ihre Presse neutral zu halten, um solche »Gerüchte« nicht weiter zu befördern.[1] Währenddessen war Hermann Molkenbuhr bereits am 12. August nach Zürich gereist, um dort Otto Braun abzulösen. Er blieb vier Wochen. Am 8. September 1914 notierte er in sein Tagebuch:
»Ach, wie hat diese politische Lage dort [in Zürich] die Köpfe verwirrt. Die braven Genossen wünschen einen Sieg Frankreichs, Englands und Deutschlands. Sie übersehen ganz, daß es in dem Krieg nur zwei Machtgruppen gibt. Deutschland und Österreich einerseits und Rußland, Frankreich, England, Belgien, Serbien und Japan andererseits. Die Siege Frankreichs und Englands wären auch Siege Rußlands, Serbiens und Japans. Ebenso wäre es umgekehrt. Frankreich kann von Deutschland besiegt werden. Würde Rußland Deutschland und Österreich niederwerfen, dann würde Österreich Länderstrecken an Italien und die Balkanstaaten abgeben müssen, Rußland würde auch einen Teil von Deutschland, in erster Linie Königsberg und Danzig nehmen, und Frankreich würde trotz seiner Niederlagen das linke Rheinufer erhalten. Schwer ist es, den guten Leuten diese Konsequenzen begreiflich zu machen.«[2]
Im Verlauf des Septembers wurde seitens des Parteivorstands versucht, von der Schweiz aus – mithilfe des Schweizer Sozialdemokraten Herman Greulich – auch mit Vertretern der französischen Sozialisten in Kontakt zu kommen, was jedoch scheiterte.[3]
[1] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 261f.
[2] Vgl. Bernd Braun/Joachim Eichler (Hrsg.), Arbeiterführer – Parlamentarier – Parteiveteran. Die Tagebücher des Sozialdemokraten Hermann Molkenbuhr 1905 bis 1927, München 2000, S. 230.
[3] Vgl. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 32; vgl. auch den Eintrag zum September 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.