Jean Jaurès ermordet

Pistolenschüsse im Pariser »Café du Croissant«

Porträt des ermordeten Jean Jaurès aus: »Der Wahre Jacob« vom 28. August 1914, Nr. 733, S. 8446.

Porträt des ermordeten Jean Jaurès aus: »Der Wahre Jacob« vom 28. August 1914, Nr. 733, S. 8446.

Am 31. Juli 1914 wurde der Wortführer und wichtigste Vertreter der französischen Sozialisten Jean Jaurès in Paris von einem Nationalisten mit zwei Pistolenschüssen ermordet.[1] Während man im SPD-Parteivorstand gemeinsam mit dem Fraktionsvorstand an diesem Tag die unterschiedlichen Positionen zu möglichen Kriegskrediten erörterte, wurde Hermann Müller nach Paris gesandt, um mit den französischen Sozialisten eine gemeinsame Taktik im Falle eines Kriegsausbruchs abzusprechen. Als am nächsten Tag die Nachricht vom Mord eintraf, waren alle »geradezu betäubt«.[2] Nicht zuletzt weil sich Jaurès intensiv für die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich und den Frieden eingesetzt hatte, sorgte der Mord gerade in dieser Situation für besondere Bestürzung. Arthur Crispien, Redakteur der »Schwäbischen Tagwacht«, verband die Trauer um den Gesinnungsgenossen mit der Hoffnung auf einen Umsturz der Entwicklungen. Am 1. August schrieb er in sein Tagebuch:

»Jaurès am 31. Juli in einem Pariser Café meuchlings von einem chauvinistischen Fanatiker erschossen. Möchte dieser Mord doch eine Revolution in Frankreich entfesseln!!«[3]
Gedicht zum Andenken an Jean Jaurès aus: »Der Wahre Jacob« vom 28. August 1914, Nr. 733, S. 8447.

Gedicht zum Andenken an Jean Jaurès aus: »Der Wahre Jacob« vom 28. August 1914, Nr. 733, S. 8447.

[1] Vgl. Die Ermordung Jaurès (Titelblatt und Rubrik: Aus der Partei), in: »Lübecker Volksbote« vom 3. August 1914.
[2] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 247f.
[3] 1/ACAA000006, Nachlass Arthur Crispien, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Mehr Quellen zu Jean Jaurès (frz.): 2014 année Jaurès.

Belagerungszustand

Zeitungsredakteure rechnen mit starker Beeinträchtigung ihrer Arbeit

Am 1. August 1914 veröffentlichte die Redaktion der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete diese Meldung.

Am 1. August 1914 veröffentlichte die Redaktion der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete diese Meldung.

Noch während die Leser der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete die Ausgabe vom 31. Juli 1914 mit einem Friedensaufruf in den Händen hielten, sah sich die Redaktion durch die Verhängung des Belagerungszustands zu einer vorsorglichen Reaktion veranlasst: Sie appellierte an die Leserschaft, ihr auch weiterhin treu zu bleiben – trotz der eventuell eintretenden Verzögerungen in der Auslieferung oder der Nachrichtenmeldungen. Neben dem ab nun geltenden Verbot der Berichterstattung über Truppenbewegungen oder Verteidigungsmaßnahmen und den Einschränkungen im Postverkehr und in der telegrafischen Kommunikation, rechnete man auch mit einer weitergehenden Zensur. Die Friedensrufe der sozialdemokratischen Zeitungen verstummten zusehends.

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 1. August 1914, hierin auch die Anordnungen zu Kriegs- und Belagerungszustand.

Zustand drohender Kriegsgefahr

Kaiser Wilhelm II. erklärt für das Reich den Kriegszustand

Meldung des »Lübecker Volksboten« zur Erklärung des Kriegszustands vom 31. Juli 1914.

Meldung des »Lübecker Volksboten« zur Erklärung des Kriegszustands vom 31. Juli 1914.

Am 31. Juli 1914 erklärte Kaiser Wilhelm II. für das gesamte Reichsgebiet den Kriegszustand und verkündete zugleich den Belagerungszustand, durch den die vollziehende Gewalt im Staat auf die Militärbefehlshaber überging und welcher die Versammlungs- und Meinungsfreiheit stark einschränkte.[1] Zudem wurden zwei Ultimaten gestellt: Russland wurde aufgefordert, seine Mobilmachung innerhalb von 12 Stunden rückgängig zu machen, und Frankreich sollte sich im Kriegsfall neutral verhalten. Ansonsten würden sich die deutschen Streitkräfte ebenso auf einen Krieg vorbereiten.[2] In Österreich-Ungarn war die Mobilisierung jedoch bereits im Gange und in Deutschland lagen die militärischen Ablaufpläne für den Krieg bereit. Die Drohungen bargen zwar noch die Möglichkeit einer diplomatischen Einigung, dienten aber auch dazu, die Kulisse eines Verteidigungskriegs zu errichten.[3]

Abonnentenwerbung und Friedensaufruf in einem. Ausschnitt der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 31. Juli 1914.

Abonnentenwerbung und Friedensaufruf in einem. Ausschnitt der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 31. Juli 1914.

[1] Vgl. die Einträge zum 31. Juli 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.
[2] Das Ultimatum an Russland findet sich abgedruckt bei Gerd Krumeich, Juli 1914. Eine Bilanz, Paderborn/München etc. 2014, S. 328f.
[3] Vgl. Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014, S. 107.

Links zu den Quellen: »Lübecker Volksbote« vom 31. Juli 1914 und »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 31. Juli 1914.

Sicherheitsvorkehrungen

Friedrich Ebert und Otto Braun fahren in die Schweiz

Gleich beim ersten Zusammentreffen nach dem Sommerurlaub am 28. Juli 1914 hatte der SPD-Parteivorstand Sicherungsvorkehrungen für den Belagerungszustand, der im Kriegsfall erklärt würde, erwogen. Diese beinhalteten auch die Überlegung, alle mobilisierbaren Finanzen der SPD in Sicherheit zu bringen.[1] Da die Entwicklung zunehmend auf eine Ausweitung des Kriegs unter deutscher Beteiligung hindeutete, beschloss der Parteivorstand am 30. Juli 1914 Friedrich Ebert und SPD-Schatzmeister Otto Braun (der ehem. Ministerpräsident Preußens) mit der Parteikasse in die Schweiz zu schicken. Im Falle des Kriegsausbruchs rechnete man jetzt nicht nur mit rigiden Maßnahmen gegen die sozialdemokratische Presse, sondern auch mit einem Verbot der SPD und der Verhaftung führender Funktionäre der Partei.[2] Unmittelbarer Auslöser war eine nachmittags um halb drei erschienene Fehlmeldung des »Berliner Lokal-Anzeigers«, der Kaiser hätte die Mobilmachung angeordnet. Obwohl die Nachricht innerhalb kürzester Zeit revidiert wurde, schien der Augenblick für Sicherheitsmaßnahmen gekommen zu sein: Eine Stunde später fuhren Ebert und Braun mit dem Zug in Richtung Zürich – die Erfahrungen des Sozialistengesetzes saßen tief in den Knochen der SPD.[3]

Gruppenaufnahme mit Otto Wels und Otto Braun um 1907.

Gruppenaufnahme mit Otto Wels und Otto Braun um 1907.

[1] Vgl. Dieter K. Buse, Ebert and the Coming of World War I. A Month from his Diary, in: International Review of Social History 13, 1968, S. 430–448, hier: S. 440.
[2] Vgl. den Eintrag zum 30. Juli 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.
[3] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 244f. Zu den Zeitangaben vgl. Buse, Ebert and the Coming of World War I, S. 442.

Russische Generalmobilmachung

Zar Nikolaus II. befiehlt die Mobilisierung seiner Armee

Schon am 28. Juli 1914 waren Teile der russischen Armee in Alarmbereitschaft versetzt worden. Nun, zwei Tage später, ordnete Zar Nikolaus II. die Mobilmachung aller seiner Truppen an.

Karten zur Kriegsstärke der europäischen Armeen und zur russischen Mobilmachung in der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 1. August 1914.

Karten zur Kriegsstärke der europäischen Armeen und zur russischen Mobilmachung in der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 1. August 1914.

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 1. August 1914.

Aufruf des Internationalen Sozialistischen Büros

Vertreter der II. Internationale sprechen sich für eine schiedsgerichtliche Einigung aus

Das Internationale Sozialistische Büro im Juni 1914. Broschüre zum X. Internationalen Sozialistenkongress in Wien 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Das Internationale Sozialistische Büro im Juni 1914. Broschüre zum X. Internationalen Sozialistenkongress in Wien 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nach eingängiger Beratung veröffentlichte das Internationale Sozialistische Büro noch am 29. Juli 1914 einen Aufruf, in dem es die europäische Arbeiterklasse aufforderte, den Kampf um den Frieden und für eine schiedsgerichtliche Erledigung des österreichisch-serbischen Konflikts fortzusetzen und zu verstärken.[1] Mittlerweile war dem SPD-Parteivorstand von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg die Botschaft übermittelt worden, man solle die sozialdemokratische Presse zur Zurückhaltung mahnen: Man drohte, dass, wenn es zum Krieg komme und der Belagerungszustand ausgerufen werde, dies für die Redaktionen allerlei Gefahren mit sich brächte.[2] Zugleich drückte er die Hoffnung aus, man könne den Konflikt auf den Balkanraum begrenzen. Der reformorientierte SPD-Reichstagsabgeordnete Albert Südekum war mit dem Reichskanzler in Kontakt getreten: Im Namen von Friedrich Ebert, 0tto Braun, Hermann Müller, Friedrich Bartels und Richard Fischer teilte er mit, dass keine Streikaktionen geplant seien.[3]

Karte aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 29. Juli 1914 zum ›Operationsgebiet‹ in Serbien.

Karte aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 29. Juli 1914 zum ›Operationsgebiet‹ in Serbien.

[1] Vgl. die Einträge zum 29. Juli 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.
[2] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 237.
[3] Vgl. Osterroth/Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Vgl. dazu auch: Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 50f.

Links zu den Quellen: Broschüre zum X. Internationalen Sozialistenkongress in Wien 1914, Wien [1914] und »Volksstimme« (Magdeburg) vom 29. Juli 1914.