Ernst Reuter hält Vortrag zur Folter politischer Gefangener in Russland
Russland galt für viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als die reaktionärste Kraft in Europa. Im Zarenreich wurden politische Gegner massiv unter Druck gesetzt. Der 24-jährige Ernst Reuter, seit 1912 SPD-Mitglied, machte als Wanderredner auf die Situation der politischen Gefangenen aufmerksam. Auf seiner Vortragsreise durch das Kaiserreich veranschaulichte er anhand von Lichtbildern die Verfolgungen: man sah Massenverhaftungen, in Brand gesetzte Dörfer, Kerkerbilder, ausgepeitschte Inhaftierte und Leichen von Selbstmördern, die im Suizid den letzten Ausweg gesehen hätten.[1] Nachdem er zuvor schon in Berlin, Frankfurt am Main, München und Breslau vor großem Publikum gesprochen hatte, besuchte er am 3. Juli 1914 Lübeck. Der Überschuss des Kartenerlöses sollte dem 1913 gegründeten »Deutschen Hilfsverein für die politischen Gefangenen und Verbannten Rußlands« zufließen. In ihm engagierten sich neben vielen Bürgerlichen auch Sozialdemokraten, etwa Eduard Fuchs und Karl Liebknecht. Ziel des Vereins war die Beweisführung und das Publizieren der russischen Repressionen.
[1] Vgl. Aus russischen Kerkern, in: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 30. Juni 1914.
Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 2. Juli 1914.