Brotausgabe für Arbeitslose in Lübeck
Die »Lübecker Genossenschaftsbäckerei« war 1889 gegründet worden. Sie entwickelte sich schnell zu einem wirtschaftlich prosperierenden Unternehmen und zum Zentrum der Lübecker Arbeiterbewegung. In dem von ihr unterhaltenen »Gewerkschaftshaus« waren eine für Arbeiter zusammengestellte Bibliothek, die Redaktion des »Lübecker Volksboten«, ein großer Versammlungssaal und weitere Einrichtungen für »die werktätige Bevölkerung« untergebracht.[1] August Bebel soll den Versammlungssaal, welchen er kurz nach dessen Fertigstellung 1901 zum Reichsparteitag besuchte, als bisher schönsten Ort für solche Tagungen gelobt haben.[2] 1913 verkaufte die Bäckerei ihr Brot bereits in 400 Filialen und erwirtschaftete einen Umsatz von 1 Million Mark.[3] Um den existenziellen Nöten der Arbeitslosen zu begegnen, wurde Brot an Bedürftige ausgegeben. Diese Tradition lebte lange fort. Als 1945 der junge Willy Brandt durch das zerbombte Lübeck gehend die Bäckerei aufsuchte, bekam er vom genossenschaftlichen Bäckermeister »nicht ganz rechtmäßig«, wie er selbst bemerkte, zwei Brote für seine Mutter mit.[4]
Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« 5. Januar 1914.
[1] Holger Boettcher, Rechtsauskunft für Minderbemittelte. Die Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und Arbeiterbewegung am Beispiel des Lübecker Arbeitersekretariats, in: Demokratische Geschichte, 1988, Bd. 3, S. 135–160, hier: S. 137f.
[2] Willy Brandt, Links und frei. Mein Weg 1930–1950, Hamburg 1982, S. 14f.
[3] Boettcher, Rechtsauskunft für Minderbemittelte, S. 146.
[4] Brandt, Links und frei, S. 15.