Leitlinien für die Parteipresse

Der »Vorwärts« wird bis auf Weiteres Verboten

Nachdem der »Vorwärts« bereits am 21. September befristet für drei Tage verboten worden war, ereilte ihn am 28. September 1914 ein unbefristetes Verbot. Hugo Haase setzte sich beim Chef der Reichskanzlei Arnold Wahnschaffe für die Aufhebung des Verbots ein, was aber keinen Erfolg zeitigte. Erst als Generaloberst Gustav von Kessel, der die Exekutivgewalt in Berlin innehatte, zugesichert worden war, dass Themen wie der Klassenkampf nicht mehr publiziert würden, und man ihm zugestand, Meldungen des Generalkommandos auf der Titelseite abzudrucken, wurde das Verbot bis Oktober aufgehoben.[1] Am selben Tag fand eine Konferenz der Redakteure der Parteipresse statt. Auf Vorschlag des Parteivorstands wurden folgende Leitsätze für die Haltung der Parteipresse im Kriege verabschiedet: 1. Die Parteipresse soll dem Hurrapatriotismus und chauvinistischen Treibereien entgegenwirken; 2. Annexionsgelüste bekämpfen; 3. bei Berichten über Kriegsgräuel, Gefangenen- und Verwundetenbehandlung mit größter Objektivität verfahren; 4. auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik schnell und wegweisend sein. Im Verlauf des Kriegs hielten sich nicht alle Parteizeitungen an diese Richtlinien.[2] Einige Redaktionen weiteten die Leitlinien aber auch aus; gemäß der Überzeugung Rosa Luxemburgs: »Lieber keinen ›Vorwärts‹, als einen solchen, in dem monatelang nichts von Klassenkampf gesagt werden könne.«[3]

Die Räume der »Vorwärts«-Redaktion um 1910. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTB015679.

Die Räume der »Vorwärts«-Redaktion um 1910. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTB015679.

[1] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 269ff. Vgl. auch: Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 44f.
[2] Vgl. den Eintrag zum 28. September 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.
[3] Zit. nach: Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, S. 270f.

Erste Ausschusssitzung nach Kriegsbeginn

SPD-Parteiausschuss befürwortet die Einhaltung des Burgfriedens

Am 27. September 1914 tagte von 10 Uhr morgens bis 19:30 Uhr abends der Parteiausschuss der SPD. In seinem Eingangsplädoyer gab der Parteivorsitzende Friedrich Ebert einen Überblick zu den Geschehnissen seit Kriegsausbruch und betonte abschließend nochmals die brisante Situation, in der sich die Partei befand:

»In dieser schicksalsschweren Zeit kann jeder Tag eine Aenderung der Situation bringen. Die Parteitätigkeit kann jeden Tag unmöglich gemacht werden. […] Wo es möglich ist, sind Mitgliederversammlungen abzuhalten, in denen besonders organisatorische und wirtschaftliche Fragen besprochen werden sollen. Auch für die Presse muß gearbeitet werden. Wir kommen jetzt an Bevölkerungsschichten heran, denen es früher verboten war, die sozialistische Presse zu lesen. Wir müssen alles tun, um unsere Organisationen so stark wie möglich zu erhalten. Wir müssen für einen Frieden wirken, der uns die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht.«[1]

Neben Forderungen nach finanzieller Unterstützung für Arbeitslose und Notleidende im Kriege wurden auch das Verhältnis zur Sozialistischen Internationale und die Nachrichten von Kriegsverbrechen aus Belgien thematisiert. Kurz vor der Mittagspause fasste der Vertreter des Bezirks Hannover, Robert Leinert, zusammen:

»Die Darstellung der internationalen Verhältnisse hat bestätigt, daß die Stellung der Auslandsparteien eine Gefahr für die Partei und das Volk ist. […] Bei der Beurteilung der Vorgänge in Belgien muß man auch auf die hören, die im Felde stehen. Eine Kommission wird nichts erreichen können. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, angebliche Greueltaten der Deutschen in Belgien festzustellen, wenn das überhaupt möglich wäre. Eine Kommission der russischen Greueltaten in Ostpreußen wäre viel wichtiger. In der Parteipresse standen jetzt schon Artikel gegen die Annexionspolitik. Wie kann man annehmen, daß dieser Weltkrieg ohne Annexionen zu Ende gehen wird. Aber im gegenwärtigen Zeitpunkt ist es überhaupt nicht richtig, hierüber zu schreiben.«[2]

Parteivorsitzender Hugo Haase trat Leinerts Auffassung zur Annexionsfrage entschieden entgegen, da ein Eroberungskrieg klar gegen die Prinzipien der SPD verstoße. Er betonte, es sei richtig und klug, »gegen die Beutepolitiker sich zu wenden«.[3] Insgesamt wurde die Einhaltung des Burgfriedens befürwortet. Ebert brachte die Situation gegen Schluss der Sitzung nochmals auf den Punkt:

»Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit, aber solange die Partei im Feuer steht, wie jetzt, müssen alle Treibereien unterlassen werden. […] Jedenfalls haben wir die Ehre der Partei in jeder Beziehung gewahrt. Wenn der Frieden wieder einkehren wird oder wenn die Partei vorher eine Katastrophe treffen sollte, so wird sie den Kampf mit reinem Schild aufnehmen.«[4]
Der Burgfrieden in den Augen des »Wahren Jacob«, Nr. 738, Ende Oktober 1914, S. 8500.

Der Burgfrieden in den Augen des »Wahren Jacob«, Nr. 738, Ende Oktober 1914, S. 8500.

[1] Protokoll der Sitzung des Parteiausschusses vom 27. September 1914, in: Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD 1912 bis 1921, hrsg. v. Dieter Dowe, Bd. 1, Berlin/Bonn 1980, S. 91–105, hier: S. 93.
[2] Ebd., S. 97.
[3] Ebd., S. 99.
[4] Ebd., S. 103.

Unverständnis

Gustav Noske und Adolph Köster treffen auf belgische Genossen

Als Gustav Noske und Adolph Köster am 23. September 1914 durch Brüssel gingen, bekamen sie mit, wie sich die Menschen auf den Straßen Bilder der zerstörten Stadt Löwen zeigten. Sie beschlossen, selbst dort hinzufahren. Nachmittags besichtigten sie die Brüsseler Kathedrale und besuchten das Maison du Peuple (Volkshaus), in dem ein Lazarett untergebracht war. Dort trafen sie auf belgische Sozialisten. Noske notierte:

»Über drei Stunden Debatte mit Genossen, besonders Vandersmits, der mich von Chemnitz kennt, wo er belgischer Vertreter. Wir begegnen absoluter Verständnislosigkeit für deutsche Haltung. Deutsche Sozialdemokraten schlechte Internationalisten nach ihrer Meinung. Glauben tollste Schauergeschichten über deutsche Soldaten. Offiziere schon angeblich acht Tage vorher gesagt, wollten Stadt verbrennen. Erörterungen über die Lage der Brüsseler Arbeiter. Es fehlen Kohlen und Mehl. Zwei Mann wollen erst mit zur Verwaltung gehen. Bekommen dann patriotische Bedenken. Redeten ja auch fortgesetzt von ihrer Ehrenpflicht wegen Neutralität gegen Deutschland zu kämpfen. Wir versprechen uns für Freigabe von Kohlen – und Mehltransporten zu verwenden. Vandersmit hält uns für Soldaten.«[1]

Im Gespräch erfuhren Noske und Köster auch, dass Karl Liebknecht vor ihnen im Maison de Peuple gewesen wäre, in Einzelheiten über die Vorgänge in der SPD-Fraktion Auskunft gegeben habe und auf »mehr oder weniger romantische Art außer Landes gebracht worden sei«.[2] Am nächsten Tag fuhren beide nach Löwen, um sich selbst ein Bild der Zerstörung zu machen. Große Teile der Stadt und zahlreiche Zivilisten waren dort einem der schlimmsten Kriegsverbrechen des Ersten Weltkriegs zum Opfer gefallen. Während die Außenstadt fast unversehrt war, machten die Ruinen der Innenstadt auf die beiden einen »fürchterlichen« Eindruck.[3] Ihr in vielen sozialdemokratischen Zeitungen abgedruckter Bericht zur »Wahrheit über Löwen« schönte nicht nur das Verhältnis zur belgischen Arbeiterbewegung, sondern brachte deutlich Noskes Überzeugung zum Ausdruck, bei den Vorwürfen gegen deutsche Soldaten handele es sich um »Schauergeschichten«:

Ausschnitt des Artikels »Die Wahrheit über Löwen« im »Lübecker Volksboten« vom 1. Oktober 1914.

Ausschnitt des Artikels »Die Wahrheit über Löwen« im »Lübecker Volksboten« vom 1. Oktober 1914.

Karte der Stadt Löwen mit Angaben zur Zerstörung (schraffierter Bereich) im »Lübecker Volksboten« vom 5. Oktober 1914.

Karte der Stadt Löwen mit Angaben zur Zerstörung (schraffierter Bereich) im »Lübecker Volksboten« vom 5. Oktober 1914.

[1] Eintrag vom 23. September 1914, Gustav Noske, Kriegstagebuch 1914, masch. Abschrift, Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vgl. dazu auch: Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987, S. 158f.
[2] Einträge vom 24. September 1914, Noske, Kriegstagebuch 1914.
[3] Ebd.

Links zu den Quellen: »Lübecker Volksbote« vom 1. Oktober 1914 und vom 5. Oktober 1914.

Passierschein!

Gustav Noske und Adolph Köster besichtigen Brüssel

Nachdem sie am Vortag mit dem Automobil in Brüssel angekommen waren, besichtigten Gustav Noske und Adolph Köster am 22. September 1914 die weitgehend unzerstörte belgische Hauptstadt. Um an den Soldaten, die die Zufahrtsstraßen zur Front und Knotenpunkte innerhalb von Städten kontrollierten, vorbeizukommen, benötigte man einen von der Kommandantur ausgestellten Passierschein. Dieser konnte jedoch jederzeit für ungültig erklärt werden. Zudem wurden die Routen der Kriegsberichtserstatter im Vorfeld festgelegt und die Kommandeure vor Ort über das Eintreffen informiert. Ein selbstständiges Reisen an die Front war nicht möglich.[1] Gerade für die beiden Sozialdemokraten galten diese scharfen Bedingungen – unabhängig von Noskes Reichstagsmandat. In seinem Kriegstagebuch hielt Noske seine Eindrücke an diesem Tag fest:

»Morgens ziehen Truppen mit Musik durch die Stadt. Über die Stadt geht ein Flieger weg nach Antwerpen zu. Sammelbüchsen auf Straßen wie in Berlin. Unsere Wache hält uns für Kruppleute. Kommandant Major Bayer stellt uns Passierscheine zum Photographieren aus. […]
Vor dem Gouvernement spielt mittags Marinemusik. Auf den Straßen wimmeln Bürger als Polizeihelfer herum. Nordbahnhofsplatz großer Trubel. Hunderte deutsche Bahnbeamte. Wagenpark steht in Empfangshalle. Automobile kommen auf den Bahnsteigen. Ganzes Pferdelager in der Halle für Kommandantur und für Gendarmen. Dicht am Bahnhof Seesoldaten, die meist Sachsen waren. Kamen von großer Erkundungsfahrt. Vor Justizpalast 15 cm-Kanonen. In Kaserne sahen wir österreichische Geschütze, die von Maubeuge kamen. Abends an Plakatsäulen Bekanntmachungen über Kriegslage und ein erneutes Verbot, Zeitungen zu verkaufen.«[2]
Der vom Kommandanten in Brüssel, Major Bayer, ausgestellte Passierschein für Adolph Köster mit der Erlaubnis, in Brüssel und Umgebung zu fotografieren. 1/AKAF000001, Nachlass Adolph Köster, Persönliche Unterlagen, Ausweise, Urkunden, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Der vom Kommandanten in Brüssel, Major Bayer, ausgestellte Passierschein für Adolph Köster mit der Erlaubnis, in Brüssel und Umgebung zu fotografieren. 1/AKAF000001, Nachlass Adolph Köster, Persönliche Unterlagen, Ausweise, Urkunden, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Vgl. Susanne Brandt, Kriegsberichterstattung, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn/München etc. 2003, S. 631.
[2] Eintrag vom 22. September 1914, Gustav Noske, Kriegstagebuch 1914, masch. Abschrift, Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Verbot des »Vorwärts«

Erscheinen des SPD-Parteiorgans wird für drei Tage verboten

Plakat der »Vorwärts«-Redaktion vom 22. September 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Plakat der »Vorwärts«-Redaktion vom 22. September 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Unter den Bedingungen des Belagerungszustands und der Zensur war es für sozialdemokratische Redaktionen nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, ohne ihre Überzeugungen preiszugeben. Wegen ihres Festhaltens an einer den Krieg ablehnenden oder den Klassenkampf weiterhin thematisierenden Sprache wurden besonders der »Vorwärts« und die von Clara Zetkin herausgegebene »Gleichheit« häufig zensiert. Am 21. September 1914 wurde der »Vorwärts« sogar für drei Tage komplett verboten. Hinzu kam die sich nach der Bewilligung der Kriegskredite immer weiter auftuende Kluft innerhalb der Partei. Die Folge war ein regelrechtes Ringen um die Hoheit in der inhaltlichen Richtungsgebung, insbesondere im zentralen Parteiorgan. Die Generalkommission der Gewerkschaften beschwerte sich darüber, dass in der Zeitung zu wenig über deren sozialpolitische Einrichtungen geschrieben werde und auch Mitglieder des Parteivorstands bemängelten die Berichterstattung. Rosa Luxemburg sprach der »Vorwärts«-Redaktion als Leiterin der Pressekommission nach einer am 22. September abgehaltenen heftigen und langen Diskussion ihr Vertrauen aus.[1] In Opposition dazu schrieb Philipp Scheidemann in seine Memoiren:

»Des ›Vorwärts‹ wegen kam es immer häufiger zu Konflikten zwischen der Redaktion und dem Parteivorstand. Hugo Haase hatte seit dem Ausbruch des Krieges jeden Abend die Vorwärtsredaktion besucht und neben seinen juristischen Ratschlägen wegen der Zensur, die ›richtigen‹ Wege gewiesen, die nach seiner Auffassung im ›Vorwärts‹ unter allen Umständen innegehalten werden müßten. […]
Jeder neue Tag brachte neuen Zwist wegen des ›Vorwärts‹. Die Berliner Pressekommission, mit dem Parteivorstand in Angelegenheiten des ›Vorwärts‹ gleichberechtigt, war vollständig in den Händen von Rosa Luxemburg. Die KK. [Kontrollkommission; überprüft die Arbeit des SPD-Parteivorstands], die höhere, in Konfliktsfällen entscheidende Instanz anzurufen, fiel dem Parteivorstand nicht ein, weil das nichts anderes gewesen wäre, als den Teufel bei seiner Großmutter, nämlich bei Klara Zetkin, zu verklagen.«[2]

Obwohl das Verbot nach drei Tagen aufgehoben wurde, häuften sich auch in der Folgezeit die Zensurrügen. Scheidemann urteilte, den Redakteuren fehle es an Gefühl dafür, was geschrieben werden könne und was nicht.[3]

In steter Bedrohung und mit Maulkorb: »Eine Redaktionsstube unter dem Kriegszustand«. Karikatur des »Wahren Jacob«, Nr. 737, 16. Oktober 1914, S. 8493.

In steter Bedrohung und mit Maulkorb: »Eine Redaktionsstube unter dem Kriegszustand«. Karikatur des »Wahren Jacob«, Nr. 737, 16. Oktober 1914, S. 8493.

[1] Vgl. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 43f.
[2] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 267f.
[3] Ebd., S. 268.

Aufbruch zum Frontbesuch

Gustav Noske macht sich auf den Weg zum westlichen »Kriegsschauplatz«

Redakteur der »Volksstimme« (Chemnitz) und Abgeordneter des Reichstags Gustav Noske etwa 1907. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA008102.

Redakteur der »Volksstimme« (Chemnitz) und Abgeordneter des Reichstags Gustav Noske etwa 1907. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA008102.

Curt Baake, Herausgeber der sozialdemokratischen Parlamentskorrespondenz »Politisch-parlamentarische Nachrichten«, empfand es als Mangel, dass die sozialdemokratischen Zeitungen ihre Berichte über den Krieg stets aus zweiter Hand übernehmen mussten. Er fragte den SPD-Reichstagsabgeordneten und Redakteur der Chemnitzer »Volksstimme« Gustav Noske, ob er nicht als Kriegsberichtserstatter an die Front reisen wolle.[1] Noske stimmte zu und traf Reisevorbereitungen. Beim Generalstab bemühte er sich um die für jeden Kriegsberichtserstatter notwendige offizielle Erlaubnis. Am 18. September erhielt er den ersehnten Ausweis. Zugleich hatte er sich verpflichtet, den Reisebericht vor seiner Veröffentlichung dort zur Zensur vorzulegen. Als Fotograf reiste Adolph (auch Adolf) Köster mit. Der freie Journalist war wegen eines Herzfehlers nicht kriegstauglich und verdingte sich fortan als Berichterstatter für die Parteipresse, insbesondere den »Vorwärts«. Noske führte ein Kriegstagebuch über die Reise. Am 19. September 1914 notierte er seine Eindrücke vom Geschehen an deutschen Bahnhöfen:

»Sonnabend, 19.9. Köster gekommen. Abfahrt Berlin, Friedrichstrasse 1, 12 Mittag. Im Zug Soldaten, die schon im Feld waren und wieder zur Front gingen. Grau sieht schon recht schmutzig aus. Unteroffizier der Landwehr, der durch Granatsplitter verwundet wurde, ist Führer einer Kolonne, die 1500 gefangene Engländer und Franzosen nach Döberitz brachte. Der Mann spricht Englisch und Französisch […]
Der Bahnhofspflegedienst für Soldaten ist noch immer gut im Gange. Es scheinen mir mehr Personen damit beschäftigt zu sein als notwendig wäre.
Das Wetter ist bis in die Nacht hinein regnerisch und stürmisch. Auf jedem Bahnhof leicht Verletzte. Der erste Verwundetenzug auf Bahnhof Düsseldorf.
Lahm, schief, humpelnd, verbundenes Bein der eine, Arm in Schlinge der andere, so kamen sie aus Güterwagen heraus. Andere blieben im Stroh liegen. Manche standen in Decken gehüllt, fröstelnd, denn die Nacht war kühl.
Ankunft Köln 12 ½ nachts. Ins nächste Hotel am Bahnhof.«[2]

[1] Vgl. Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987, S. 157f.
[2] Gustav Noske, Kriegstagebuch 1914, masch. Abschrift, Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der bei der Reise entstandene Bericht wurde noch 1914 publiziert: Gustav Noske/Adolph Köster, Kriegsfahrten durch Belgien und Nordfrankreich 1914, Berlin 1914.