Die deutsche Armee rückt in Antwerpen ein, die Einwohner fliehen
Nach wochenlanger Belagerung und massivem Artilleriebeschuss kapitulierte am 10. Oktober 1914 der Bürgermeister der belgischen Stadt Antwerpen vor den deutschen Truppen. König Albert I. hatte nach langem Zögern am 6. Oktober den Rückzug befohlen. 30.000 Soldaten flohen in Richtung Niederlande, etwa ebenso viele wurden zu Kriegsgefangenen. Der Großteil der belgischen Armee, welche von 2.000 britischen Soldaten unterstützt worden war, zog sich nach Flandern zurück. Die belgische Regierung flüchtete über Ostende nach Le Havre.[1] Die Einnahme der Stadt wurde im Kaiserreich als Vorbote des Sieges gedeutet. Als sich die Nachricht verbreitete, läuteten im ganzen Land die Kirchenglocken. Otto Braun schrieb dazu am 16. Oktober 1914 in sein Tagebuch:
»Vor einer Woche wurde Antwerpen genommen, wobei sich wieder die gewaltige Wirkung unserer Belagerungsgeschütze gezeigt hat. Die armen verrannten Belgier hätten sich auf Geheiss der perfiden Engländer noch bald ihr ganzes Antwerpen in Trümmer schiessen lassen. Schaden genug ist entstanden. Eingejagt durch die ihnen aufgebundenen Schauermären über die deutschen Barbaren sind sie zu Hunderttausenden nach Holland geflüchtet. Für das kleine Land eine schlimme Last. So erfreulich der Fall Antwerpens ist, dass man mich deswegen mitten in der Nacht durch Glockengeläute aus dem Schlaf störte, hat mich doch geärgert. So bedeutungsvoll ist diese verhältnismässig kleine Episode für den Ausgang des Weltkrieges doch wahrlich nicht.«[2]
Den Vorwürfen, deutsche Soldaten hätten Kriegsgräueltaten begangen, begegnete man im Kaiserreich ungläubig. Karikatur aus dem »Wahren Jacob«, Nr. 738, Ende Oktober 1914, S. 8501.
Gustav Noske hatte schon am 9. Oktober Gerüchte über den Fall Antwerpens vernommen und brach am folgenden Tag mit dem Auto dorthin auf:
»Sonnabend, 10.10.
Antwerpen in deutschem Besitz. […]
Vorbei an Waelchem, dann durch total zerschossene Dörfer, Schweine rennen umher, tote Kühe und Pferde strecken Beine hoch. Von Einwohnern nichts zu sehen. Wenig von unseren Soldaten.
Dann kommen Orte, die wenig oder gar nicht gelitten haben, sie sind dicht mit Soldaten besetzt. Die inneren Forts werden sichtbar. Belgische Fahne weht noch. Auf Wall einsam deutscher Posten. Zugänge zur Stadt verbarrikadiert. Wir Umweg über Flugplatz. Bleiben im Sand stecken. Dann weiter. Balken hemmen die Fahrt. Einer wird ausgegraben. Dann hinein in die Stadt. Hindurch durch Truppen. Einige Häuser zerschossen, Straßen durch Granaten aufgewühlt. Viele belgische Fahnen wehen. Unbeschreibliches militärisches Gewimmel. Vor Königsschloß nimmt General mit Stab im Dunklen Parade ab. Links lohen die Flammen. Singend ziehen Truppen hinter Fahne her. Waren erhebende Augenblicke.«[3]
Die Einwohner von Antwerpen flüchten vor den deutschen Granaten. Gemälde des deutschen Marinemalers Willy Stöwer (1864–1931). Rechte: gemeinfrei. Quelle: Wikimedia Commons.
[1] Laurence van Ypersele, Antwerpen, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn/München etc. 2003, S. 336–337.
[2] Eintrag vom 16. Oktober 1914, Otto Braun, Tagebuch, S. 58, Nachlass Otto Braun, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[3] Eintrag vom 10. Oktober 1914, Gustav Noske, Kriegstagebuch 1914, masch. Abschrift, Nachlass Gustav Noske, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Weitere Quellen: Berichte Gustav Noskes über den Beschuss Antwerpens im »Lübecker Volksboten« vom 13. Oktober 1914 und zum »Einzug in Antwerpen« im »Lübecker Volksboten« vom 15. Oktober 1914.