Viertes schlesisches Arbeitersängerfest

Arbeitersänger schlagen der Breslauer Polizei ein Schnippchen

Postkarte von 1908 mit Arbeitersängergruß. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Postkarte von 1908 mit Arbeitersängergruß. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

An Pfingsten 1914 fand in Breslau das vierte schlesische Arbeitersängerfest statt. Die zuständigen Behörden hatten im Vorfeld zahlreiche Verbote ausgesprochen: Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren war die Teilnahme an den Veranstaltungen untersagt, welche nicht unter freiem Himmel stattfinden durften, Tanzen war nicht gestattet und Umzüge verboten. Das Fest wurde in der angrenzenden Landgemeinde Morgenau begangen. Wie die sozialdemokratische Presse berichtete, waren 98 Arbeitergesangsvereine erschienen. Die Polizei überwachte mit großem Aufgebot das volle Festlokal und den Weg zum Gewerkschaftshaus, um den im Anschluss befürchteten Umzug zu unterbinden – doch die Ordnungshüter warteten vergeblich. Erst am Morgen des zweiten Feiertags kam die Sängerschaft wieder zusammen. 400–500 Personen versammelten sich vor der Wohnung des Oberbürgermeisters und weitere Chöre vor dem Landratsamt und dem Regierungspräsidium. Um acht Uhr früh stimmten alle lauthals die Internationale an: »Wacht auf, Verdammte dieser Erde…«. Als die verständigte Polizei bei den »Konzertorten« eintraf, waren die Arbeitersänger schon weitergezogen.[1]

Ausschnitt des Titelblatts der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 2. Juni 1914.

Ausschnitt des Titelblatts der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 2. Juni 1914.

[1] Vgl. »Volksstimme« (Magdeburg) 4. Juni 1914.

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 2. Juni 1914.

Mehr zum Arbeiterlied: Erinnerungsorte der Sozialdemokratie.

Deutsch-französische Verständigungskonferenz in Basel

Parlamentarier wollen enger zur Stärkung des Friedenswillens zusammenarbeiten

Der badische SPD-Abgeordnete Ludwig Frank hatte sich maßgeblich für ein erstes Treffen in Bern 1913 eingesetzt. Hier ein Bild um 1910. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Der badische SPD-Abgeordnete Ludwig Frank hatte sich maßgeblich für ein erstes Treffen in Bern 1913 eingesetzt. Hier ein Bild um 1910. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Am 29. und 30. Mai 1914 tagten in Basel französische und deutsche Parlamentsabgeordnete. Bereits im Vorjahr hatte in Bern eine Konferenz stattgefunden, auf welcher ein ständiges deutsch-französisches innerparlamentarisches Komitee mit der Förderung der deutsch-französischen Freundschaft betraut worden war. Angeregt wurde die überparteiliche Zusammenkunft von den Sozialdemokraten Friedrich Stampfer und Ludwig Frank, deren Vorschlag auf französischer und schweizer Seite begrüßt wurde. In Bern waren insgesamt 156 Abgeordnete zugegen, darunter auch 83 französische und 6 deutsche Vertreter bürgerlicher Parteien.[1] Nun wurden die Berner Beschlüsse in kleinerer Runde erneut bekräftigt. Neben Frank und anderen waren auch Philipp Scheidemann, Hugo Haase, Georg Ledebour, Eduard David, Eduard Bernstein und Jean Jaurès angereist.[2] In seiner abschließenden Resolution betonte das Komitee, den Friedenswillen beider Völker weiter hervorheben und dem durch Wettrüsten und negative Presse wachsenden gegenseitigen Misstrauen aktiv entgegenwirken zu wollen.[3] Im Rückblick schrieb Scheidemann: »Das Band zwischen allen Friedensfreunden diesseits und jenseits der Vogesen schien fester geknüpft, denn je zuvor.«[4]

Ausschnitt des Berichts zur Konferenz im »Lübecker Volksboten« vom 2. Juni 1914.

Ausschnitt des Berichts zur Konferenz im »Lübecker Volksboten« vom 2. Juni 1914.

[1] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 227–231.
[2] Vgl. die Angabe zu den Teilnehmern in der politischen Übersicht der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 3. Juni 1914.
[3] Vgl. Abdruck der Resolution im »Lübecker Volksboten« vom 2. Juni 1914.
[4] Scheidemann, Memoiren, S. 231.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 2. Juni 1914.

Mehr Quellen zu Jean Jaurès (frz.): 2014 année Jaurès.

»Dreiklassenschmach«

Sozialdemokraten protestieren für ein allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht in Preußen

Flugblatt mit Aufruf zur Versammlung in Altona. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Flugblatt mit Aufruf zur Versammlung in Altona. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Am 28. Mai 1914 informierte Heinrich Kürbis, SPD-Stadtverordneter in Altona und Bezirksparteisekretär für Schleswig-Holstein, alle Versammelten im Ballsaal »Blumensäle« in Altona über die aktuellen Ereignisse im Preußischen Abgeordnetenhaus. Der neue preußische Reichsminister des Innern Friedrich Wilhelm von Loebell hatte dort zehn Tage zuvor nach seiner Antrittsrede die Frage, ob er für Preußen ein neues Wahlrecht vorsehe, vehement verneint. Mit seiner klaren Absage entfachte er einen Sturm der Entrüstung aufseiten der Sozialdemokraten.[1] Die Ablösung seines Vorgängers, Johann von Dallwitz, hatte zunächst neue Hoffnungen auf eine Reform geweckt. Die durch das Wahlrecht unantastbare politische Dominanz der wohlhabenden Agrarier, Junker und Konservativen und die Vormachtstellung Preußens im Reich stellten die größte Hürde für demokratische Reformen im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung dar. Loebell selbst gehörte als Rittergutsbesitzer zu den Profiteuren des Dreiklassenwahlrechts.

[1] Vgl. Bericht zur Sitzung im Abgeordnetenhaus im »Lübecker Volksboten« vom 19. Mai 1914.

 

»Lebende Zielscheiben«

Preußische Heeresverwaltung führt dem Kaiser neuen Apparat für Schießübungen vor

Beitrag aus der Rubrik »Politische Rundschau« des »Lübecker Volksboten« vom 29. Mai 1914.

Beitrag aus der Rubrik »Politische Rundschau« des »Lübecker Volksboten« vom 29. Mai 1914.

Das noch neue Medium Film und die Möglichkeit der Projektion im Kino, damals oftmals »Kintopp« genannt, steckte 1914 noch in den Kinderschuhen. Neben den Parteien und der Presse entdeckte nun auch das Militär, welche Möglichkeiten in der neuen Technik steckten. Mithilfe eines speziellen Projektionsapparates sollten Soldaten in Zukunft zur Übung auf bewegliche Ziele schießen können. Anhand der Einschusslöcher und dem Anhalten des Films ließ sich dann die Treffgenauigkeit überprüfen. Der »Lübecker Volksbote« kommentierte die Nachrichten der bürgerlichen Presse mit der Hoffnung, dass das Kriegsspielen in Zukunft nur noch im Kino stattfinde – ein bis heute aktueller, aber noch immer nicht Wirklichkeit gewordener Gedanke.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 29. Mai 1914.

Zweiradfahren

Immer mehr Arbeiter können sich ein Fahrrad leisten

Fahrräder gehörten in der ersten Hälfte des Jahres 1914 neben Lebensmitteln und Bekleidungsartikeln zu den oft beworbenen Konsumgütern in der Arbeiterpresse. Hier eine Anzeige aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 23. Mai 1914.

Fahrräder gehörten in der ersten Hälfte des Jahres 1914 neben Lebensmitteln und Bekleidungsartikeln zu den oft beworbenen Konsumgütern in der Arbeiterpresse. Hier eine Anzeige aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 23. Mai 1914.

Fahrräder hatten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr vom Luxusgegenstand zum Massenverkehrsmittel entwickelt. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurden sie so günstig, dass sich auch besser verdienende Arbeiter ein Fahrrad leisten konnten. Die Vorteile des – wenn auch oft nur gebraucht – erschwinglichen Verkehrsmittels lagen auf der Hand: Nun war es möglich, weiter von der Arbeitsstätte entfernt zu wohnen, ohne Geld für öffentliche Verkehrsmittel ausgeben zu müssen. Allerdings verlangten einige Kommunen eine Fahrradabgabe für den Unterhalt von Radwegen. Das Fahrrad veränderte auch das Freizeitverhalten; auf eigene Faust oder im Arbeiter-Radfahrer-Bund »Solidarität« wurden Wochenendausflüge und Gruppenfahrten unternommen. Auch die technische Entwicklung hatte Anteil am Erfolg des Rads: Schlauchreifen und erste Vordergabelfederungen förderten die Freude am Fahren und ermöglichten längere Touren.23.5. Zweiradfahren_Volkswacht (Westpreußen) 6.5._1_Sozialdemokratie1914

Fahrradanzeigen aus der »Volkswacht« (Westpreußen) vom 6. Mai 1914.

Fahrradanzeigen aus der »Volkswacht« (Westpreußen) vom 6. Mai 1914.

Link zur Quelle: »Volksstimme« (Magdeburg) vom 23. Mai 1914.

Schluss der Reichstagssession

SPD-Abgeordnete bleiben beim Hoch auf den Kaiser sitzen

Am 4. Februar 1914 hatte die SPD-Reichstagsfraktion beschlossen, beim traditionellen ›Kaiserhoch‹ zum Schluss jeder Reichstagssession im Saal zu bleiben und sich nicht zu erheben. Als am Mittag des 20. Mai der Ruf »Seine Majestät der Deutsche Kaiser, Wilhelm II., König von Preußen, lebe hoch! – hoch! – hoch!« ausgerufen wurde, erhoben sich die Abgeordneten von ihren Sitzen und stimmten in den Hochruf mit ein – alle außer den Sozialdemokraten. Der Reichstagspräsident Johannes Kaempf ging darauf ein und äußerte sein Bedauern. Schließlich schulde jeder Deutsche dem Kaiser Achtung, die so zum Ausdruck gebracht werde.[1]
Für Hermann Molkenbuhr, seit 1911 Vorsitzender der SPD-Reichstagsfraktion, war der Entschluss seiner Genossen nicht nachvollziehbar. In seinem Tagebuch schrieb er, durch die Änderung der bisherigen Praxis, entweder den Saal zu verlassen oder sich zu erheben, hätten »die alten Führer [August] Bebel und [Paul] Singer Fußtritte« erhalten.[2] Für ihn war das Sitzenbleiben kein radikaleres Vorgehen, sondern der »erste Schritt zur Beteiligung«. Die Voraussage Molkenbuhrs sollte sich bald bewahrheiten: Am 4. August 1914, unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, erhob sich der gesamte Reichstag zu Ehren des Kaisers.[3]

Hermann Molkenbuhr um 1913. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Hermann Molkenbuhr um 1913. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Reichstagsprotokolle, 264. Sitzung, Mittwoch den 20. Mai 1914, S. 9171, URL: <http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k13_bsb00003391_00621.html>.
[2] Bernd Braun/Joachim Eichler (Hrsg.), Arbeiterführer – Parlamentarier – Parteiveteran. Die Tagebücher des Sozialdemokraten Hermann Molkenbuhr 1905 bis 1927, München 2000, S. 222f.
[3] Ebd., insb. Anmerkung 11.