»Der Kampf gegen die roten Kranzschleifen«

Dortmunder Gericht verurteilt Sozialdemokraten wegen roter Kranzschleifen6.2. Rote Kranzschleifen_Lübecker Volksbote_1

»Lübecker Volksbote« vom 6. Februar 1914.

»Lübecker Volksbote« vom 6. Februar 1914.

Rote Kranzschleifen waren im Kaiserreich ein fester Bestandteil sozialdemokratischer Totenehrung. Sie wurden als Symbol für soziale Demokratie, Freiheit und Gleichheit verstanden. Traditionell wurde so auch alljährlich am 18. März den ›Märzgefallenen‹ der Revolution von 1848 auf dem Friedhof in Berlin-Friedrichshain gedacht. Während die staatlichen Verbote zum öffentlichen Tragen von roten Abzeichen seit Ende des ›Sozialistengesetzes‹ 1890 gelockert worden waren, wurden aufgebrachte Sprüche noch immer auf ihren politischen Gehalt hin überprüft. Zudem gab es Kirchengesetze, die rote Kranzschleifen auf Friedhöfen weiterhin verboten.[1] Seitens der Gerichte wurden diesbezügliche Anzeigen jedoch meist mit Freisprüchen bedacht. Wie der »Lübecker Volksbote« am 6. Februar 1914 berichtete, änderte ein Dortmunder Gericht diese Verfahrensweise und verurteilte vier Genossen. Dass dies kein Grund war, auf rote Kranzschleifen zu verzichten, verdeutlichte der »Volksbote« anhand der Beerdigung der Opfer des Unglücks im Steinkohlebergwerk »Zeche Minister Achenbach« in Lünen. Am 30. Januar 1914 war es dort zu einer Schlagwetterexplosion gekommen. Die Beerdigung verlief trotz der »mächtigen, prachtvollen roten Schleifen« ruhig.

Kranzniederlegung im Andenken an die ›Märzgefallenen‹ auf dem Friedhof Berlin-Friedrichshain um 1910. Die Polizei zensiert Kranzschleifen. Rechteinhaber nicht ermittelbar.

Kranzniederlegung im Andenken an die ›Märzgefallenen‹ auf dem Friedhof Berlin-Friedrichshain um 1910. Die Polizei zensiert Kranzschleifen. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 6. Februar 1914

[1] Vgl. Sebastian Kranich/Axel Wacker, Symbolische Kommunikation. Rote Kranzschleifen auf Sächsischen Friedhöfen, in: Gert Melville (Hrsg.), Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 569–584, hier: S. 575.

›Kaiserhoch‹

SPD-Fraktion beschließt einen anderen Umgang mit höfischer Tradition im Reichstag

Die SPD-Reichstagsfraktion im Jahr 1914. Seit den Wahlen von 1912 war sie die mitgliederstärkste Fraktion im Reichstag.

Die SPD-Reichstagsfraktion im Jahr 1914. Seit den Wahlen von 1912 war sie die mitgliederstärkste Fraktion im Reichstag. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

In ihrer Fraktionssitzung am 4. Februar 1914 beschloss die Reichstagsfraktion der SPD mit einer knappen Mehrheit von 50 zu 47 Stimmen, sich in Zukunft beim ›Kaiserhoch‹ nicht von den Sitzen zu erheben. Die vorherige Praxis, den Saal vor der Ehrerbietung gegenüber dem Kaiser zum Schluss einer jeden Reichstagssession zu verlassen oder daran teilzunehmen, sollte nun einem demonstrativeren Verhalten weichen. Der Beschluss wurde vorläufig nicht veröffentlicht und als Fraktionsgeheimnis angesehen.[1] Als dann am 20. Mai 1914 tatsächlich alle anwesenden SPD-Abgeordneten auf ihren Plätzen blieben, löste das öffentliche und interne Debatten aus. Innerhalb der Sozialdemokratie wurde diskutiert, ob das ›Kaiserhoch‹ als Überbleibsel höfischer Tradition abzulehnen oder als Ausdruck staatsrechtlichen Verständnisses und Respekt gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Reichs zu befürworten sei.[2] Seit der Zabern-Affäre spitzte sich das Verhältnis zwischen Reichstag und Kaiser generell zu. Kaiser Wilhelm II. hatte am 27. Januar 1914 zu seinem 55. Geburtstag das Präsidium des Reichstags wie üblich empfangen, die Glückwünsche jedoch im Gegensatz zu den Vorjahren wortlos entgegengenommen und dem Parlament keine Grüße ausgerichtet. In den Augen vieler Abgeordneter hatte er den Reichstag damit durch Nichtachtung abgestraft.

[1] Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918. Erster Teil, bearb. v. Erich Matthias u. Eberhard Pikart (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 3/I), Düsseldorf 1966, S. 310.

[2] Vgl. dazu: Wolfgang Heine, Kaiserhoch, in: Sozialistische Monatshefte, 1914, H. 11, S. 651–654 und Edmund Fischer, Der deutsche Reichstag, in: ebd., S. 655–659.