Die Sozialdemokratie in den Landtagen

Die SPD stellt 220 Abgeordnete in den Landesparlamenten

Bericht der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 4. April 1914 über den »reaktionären« preußischen Landtag.

Bericht der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 4. April 1914 über den »reaktionären« Preußischen Landtag.

Dem Bericht des SPD-Parteivorstands vom 31. März nach war die Sozialdemokratie im Frühjahr 1914 mit 220 Abgeordneten in den Landtagen vertreten: 30 Abgeordnete in Bayern, 25 in Sachsen, 20 in Hamburg, 17 in Württemberg, 16 in Bremen, 13 in Baden, 13 in Lübeck, 11 in Oldenburg, 11 in Elsass-Lothringen, 10 in Preußen, 9 in Sachsen-Meiningen, 9 in Schwarzburg-Rudolstadt, 8 in Gotha, 8 in Hessen, 7 in Sachsen-Altenburg, 4 in Sachsen-Weimar, 3 im Fürstentum Reuß ältere Linie, 2 im Fürstentum Reuß jüngere Linie und jeweils 1 Abgeordneter in Anhalt, in Schaumburg-Lippe, in Lippe und in Schwarzburg-Sondershausen. In den Städten und Gemeinden stellte die SPD insgesamt 11.880 Volksvertreter, wobei das Dreiklassenwahlrecht in Preußen auch auf kommunaler Ebene eine reaktionäre Barriere darstellte.[1]

Ein schwerer Stand im ›Dreiklassenparlament‹: die Sozialdemokraten im preußischen Landtag 1913.

Ein schwerer Stand im ›Dreiklassenparlament‹: die Sozialdemokraten im Preußischen Landtag 1913. Rechte: frei.

[1] Vgl. Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 4. April 1914.

Zur preußischen Vormachtstellung im Reich vgl. auch: »Der preussische Partikularismus und die deutsche Sozialdemokratie«.

Arbeiterbildung

Hunderte Vorträge, Schulungen und Bibliotheken fördern die Mündigkeit von sozialdemokratischen Arbeiterfamilien

Bericht des »Lübecker Volksboten« vom 3. April 1914 über die Teilnehmerstruktur der Parteischule.

Bericht des »Lübecker Volksboten« vom 3. April 1914 über die Teilnehmerstruktur der Parteischule.

Der Bildungsausschuss der SPD teilte im Zuge des Jahresberichts des SPD-Parteivorstands vom 31. März 1914 mit, dass im Vorjahr in 215 Orten 357 Vortragskurse mit 2.152 Vorträgen und 60.450 Teilnehmern gehalten wurden. Darüber hinaus fanden 675 künstlerische Veranstaltungen mit 302.306 Besuchern, 769 Theaterabende und Volksvorstellungen mit 604.405 Besuchern, davon 38 Kindervorstellungen mit 25.465 Besuchern, statt. 49 Gesellschaftsreisen mit Arbeiterinnen und Arbeitern wurden unternommen. Von sozialdemokratischen Wanderrednern, darunter Hermann Duncker, Julian Borchardt, Otto Rühle und Paul Lensch, wurden 882 Kurse mit 4.795 Vorträgen und 137.120 Besuchern durchgeführt. Neben diesen kulturell und politisch ausgerichteten Veranstaltungen sorgte die Partei auch durch den Unterhalt zahlreicher Bibliotheken für ein breit gefächertes Bildungsangebot: In 748 Orten existierten 1.147 Arbeiterbibliotheken. Diese waren 1913 mit 284.357,97 Mark aus der Parteikasse unterstützt worden und wiesen einen Bestand von 833.857 Büchern auf.[1]

August Bebel im Jahr 1880. Zwei Jahre zuvor hatte er im »Vorwärts« die Gründung einer allgemeinen Parteibibliothek angeregt.

August Bebel im Jahr 1880. Zwei Jahre zuvor hatte er im »Vorwärts« die Gründung einer allgemeinen Parteibibliothek angeregt. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Vgl. Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 3. April 1914.

Mehr zur Geschichte der Parteibibliotheken: Rüdiger Zimmermann, Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung bewahren. Die Geschichte der Bibliotheken der deutschen Sozialdemokratie, Bonn 2008.

Bericht des SPD-Parteivorstands zum abgelaufenen Geschäftsjahr 1913

Die sozialdemokratische Parteipresse erreicht fast 1,5 Millionen Abonnenten

Die Berliner Lindenstraße 2–4: Sitz des SPD-Parteivorstands, der Parteischule, der »Vorwärts«-Buchdruckerei und der »Vorwärts«-Redaktion. Rechteinhaber nicht ermittelbar.

Die Berliner Lindenstraße 2–4: Sitz des SPD-Parteivorstands, der Parteischule, der »Vorwärts«-Buchdruckerei und der »Vorwärts«-Redaktion. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nach dem jährlichen Bericht des SPD-Parteivorstands an den Parteitag vom 31. März 1914 betrug die Zahl der Parteimitglieder im Frühjahr 1.085.905, darunter 174.754 Frauen. Bei diesen Zahlen waren die während der Roten Woche geworbenen Mitglieder erst zum Teil berücksichtigt worden. Die Zahl der Bildungsausschüsse betrug 854, die der Jugendausschüsse 837. Die Ausschüsse zählten insgesamt 19.107 Mitglieder. In 252 Orten arbeiteten Kinderschutzkommissionen.

Nicht nur der Organisationsgrad, auch die Verbreitung der Parteipresse konnte erfolgreich ausgeweitet werden: der »Vorwärts« hatte 161.000, »Die Neue Zeit« 10.600, »Die Gleichheit« 125.000, die »Arbeiter-Jugend« 102.726, »Der Wahre Jacob« 366.000, die »Kommunale Praxis« 3.574 und die 14-täglich erscheinende »Sozialdemokratische Parteikorrespondenz« 5.500 Abonnenten. Die Parteipresse erreichte insgesamt 1.488.345 Abonnenten, täglich erschienen 91 sozialdemokratische Zeitungen und die SPD besaß allein 65 Druckereien.[1]

Sozialdemokratische Presse als Waffe für Aufklärung, Recht und Freiheit: Die »Volkswacht« (Westpreußen) rief am 3. April 1914 zur Werbung weiterer Abonnenten auf.

Sozialdemokratische Presse als »Waffe« für Aufklärung, Recht und Freiheit: Die »Volkswacht« (Westpreußen) rief am 3. April 1914 zur Werbung weiterer Abonnenten auf.

[1] Vgl. Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.

Link zum Aufruf: »Volkswacht« (Westpreußen) vom 3. April 1914.

Mehr zur Geschichte der Lindenstraße 2–4: Gedenktafeln in Berlin.

Mehr zur Geschichte der SPD-Parteizentralen: Parteizentralen im Spiegel der Geschichte.

Karl Ryssel gewinnt Reichstagsmandat

Eduard von Liebert unterliegt bei der Stichwahl zum Reichstag in Borna-Pegau

Karikatur zur Wahl in Borna-Pegau aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8303.

Karikatur zur Wahl in Borna-Pegau aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8303.

Bei einer Stichwahl im Reichstagswahlkreis Borna-Pegau in Sachsen wurde der bisherige Abgeordnete, der Vorsitzende des »Reichsverbands gegen die Sozialdemokratie« Eduard von Liebert, vom sozialdemokratischen Kandidaten Karl Ryssel geschlagen. Liebert war bis 1901 Gouverneur der Kolonie ›Deutsch-Ostafrika‹ gewesen und agitierte ab 1904 mit seinem militaristisch orientierten Verband gegen die Sozialdemokratie. Seit 1907 saß er für die Deutsche Reichspartei im Parlament. Bei der Nachwahl am 17. März hatte Liebert 8.629, der nationalliberale Kandidat 6.512 und Ryssel 12.077 Stimmen erhalten, was eine Stichwahl erforderlich machte. Da die Nationalliberalen ihre Wähler aufforderten, für Liebert zu stimmen, war das Stichwahlergebnis mit 14.321 Stimmen für Ryssel gegen 12.731 Stimmen für die Reichspartei eine Überraschung.

Kurzporträt des neuen Reichstagsabgeordneten Karl Ryssel aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8302.

Kurzporträt des neuen Reichstagsabgeordneten Karl Ryssel aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 724, vom 18. April 1914, S. 8302.

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 27. März 1914.

»Die im Schatten leben«

Bei einem Rezitationsabend in Berlin wird das Bergarbeiterdrama von Emil Rosenow vorgetragen

Bekanntmachung in der »Buchbinder-Zeitung« vom 22. März 1914.

Bekanntmachung in der »Buchbinder-Zeitung« vom 22. März 1914.

In seinem 1899 verfassten Drama »Die im Schatten leben« erzählt Emil Rosenow die Geschichte einer Arbeiterfamilie, die in der Arbeiterkolonie eines Steinkohlebergwerks nahe Dortmund lebt. Harte und riskante Arbeit, Armut, Sorgen und Abhängigkeiten bestimmen den Alltag in dieser bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Milieustudie. Während die Geräusche des Werkes und das Aufflammen des Hochofens die Szenerie bilden, vollzieht sich eine Familientragödie. Durch ein Unglück im Schacht verliert die Arbeiterwitwe Lückel ihren Schwiegersohn und durch die Arglist eines jungen Millionenerben und eines Diakons die Gunst ihrer drei Töchter. Ihr 17-jähriger Sohn wird bei dem Unglück schwer verletzt und arbeitsunfähig. Zu allem Überdruss droht ihr der Betriebsdirektor mit der Kündigung ihrer Witwenrente und dem Verlust der bescheidenen Hütte innerhalb der Arbeiterkolonie. Die scharfe Kontrastierung zwischen den Gesellschaftsschichten und die darin enthaltene Kritik führte zur Zensur des Dramas. Wie Rosenows andere Werke wurde es erst acht Jahre nach seinem Tod im Jahr 1912 veröffentlicht.

Als jüngster Abgeordneter wurde der Sozialdemokrat Emil Rosenow 1898 in den Reichstag gewählt und behielt den Sitz bis zu seinem frühen Tod – 1904 starb er mit nur 33 Jahren.

Als jüngster Abgeordneter wurde der Sozialdemokrat Emil Rosenow 1898 in den Reichstag gewählt und behielt den Sitz bis zu seinem frühen Tod – 1904 starb er mit nur 33 Jahren. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Link zur Quelle: »Buchbinder-Zeitung« vom 22. März 1914.

Urteil gegen »Volkswacht«-Redakteur

Verantwortlicher Redakteur Franz Förster wird zu Gefängnisstrafen verurteilt

Auszug aus dem strafrechtlich relevanten Artikel der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 7. Januar 1914.

Auszug aus dem strafrechtlich relevanten Artikel der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 7. Januar 1914.

Obwohl auch die sozialdemokratische Presse seit Ende des ›Sozialistengesetzes‹ 1890 offiziell wieder dem Gesetz über die Presse unterlag, barg diese Arbeit für Publizisten noch immer immense persönliche Risiken. Erst kürzlich war der verantwortliche Redakteur der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete, Franz Förster, von der Strafkammer in Breslau zu drei Wochen Gefängnis verurteilt worden. Wegen »Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen« saß er am 24. März erneut vor Gericht. Laut Anklage war in einem »Volkswacht«-Artikel vom 7. Januar 1914 mit der Überschrift »Sturm Heil!« die Bildung von Landsturmvereinen, den im Deutschen Reich gesetzlich verankerten Vereinen aller Wehrpflichtigen, die nicht Teil des Heeres waren, verhöhnt worden. Das Gericht verhängte dafür sechs Wochen Gefängnis. Im Anschluss an die Verhandlung musste sich Förster wegen zweier Artikel, durch welche sich ein Rechtsanwalt beleidigt fühlte, erneut verantworten. Sein Versuch, das Gericht aufgrund der vorherigen Urteile gegen ihn als befangen und als Gegner der Sozialdemokratie zu erklären, scheiterte. Die Richter verhängten wegen der Beleidigung des Anwalts zusätzlich zwei Monate Gefängnis und eine Geldstrafe von 50 Mark.

Links zu den Quellen: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 25. März 1914 und »Lübecker Volksbote« vom 27. März 1914.