»Was die Volksfürsorge leistet«

Soziale Absicherung für die werktätige Bevölkerung

Volksfürsorge_Volkswacht 19.1.1914

»Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 19. Januar 1914

Die Volksfürsorge Lebensversicherung AG hatte im Juli 1913 ihren Geschäftsbetrieb aufgenommen. Freie Gewerkschaften und Konsumgenossenschaften beteiligten sich gemeinsam, um durch die Gründung die soziale Absicherung der werktätigen Bevölkerung zu verbessern. Die bisherigen Vorschläge der Sozialdemokraten für eine gerechtere Gestaltung der öffentlich-rechtlichen Lebensversicherungen wurden seitens der Regierung weitgehend ignoriert. Unter den Geschäftsführern Adolph von Elm und Friedrich Lesche wurde daher die sozial ausgerichtete, aber als AG organisierte Individualversicherung »Volksfürsorge« etabliert. Wie das Beispiel des durch einen Betriebsunfall verstorbenen Straßenbahnschaffners aus Köln zeigte, konnte das System der Lebensversicherung mit bezahlbaren Beiträgen den Hinterbliebenen zumindest für einige Jahre soziale Sicherheit gewährleisten.

Friedrich Lesche – Mitbegründer und erster Geschäftsführer der Volksfürsorge Versicherung, hier: 1921

Friedrich Lesche – Mitbegründer und erster Geschäftsführer der Volksfürsorge Versicherung, hier im Jahr 1921. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Link zur Quelle: »Volkswacht« 19. Januar 1914.

»Rechtlos«

Zur Rechtslage von Hausangestellten

Hausangestellte_Volksstimme_ 18.1.1914

»Volksstimme« vom 18. Januar 1914.

In einer Beilage berichtete die »Volksstimme«, das sozialdemokratische Organ für den Regierungsbezirk Magdeburg, am 18. Januar 1914 über die »Willkür« der Hausangestellte ausgesetzt seien. Als Beispiel wurde das Schicksal eines 15-jährigen Dienstmädchens angeführt, welches den Dienst bei seiner »Herrschaft« kündigte. Über die Rechtmäßigkeit der Kündigung kam es dann zum Streit woraufhin das Dienstmädchen insgesamt 90 Mark Strafe und die »zwangsweise Rückführung in den Dienst« über sich ergehen lassen musste. Eine Strafsumme, die – laut Volksstimme – dem Jahreslohn dieses Dienstmädchens entsprach. Zum Vergleich einige Anzeigenpreise der selben Ausgabe: Für eine Bluse zahlte man je nach Material 4 bis 20 Mark, für ein Paar Winterstiefel zwischen 2 und 9 Mark, für ein Pfund Butter rund 1,50 Mark, für eine günstige Badewanne zwischen 9,50 und 13,75 Mark, einen Damenhut gab es ab 2 Mark, einen Parkettplatz in einem kleineren Theater ab 55 Pfennigen.

Link zur Quelle: Volksstimme 18. Januar 1914.

»Weibliche Angestellte«

 Gegen die Doppelbelastung weiblicher Angestellter

weibliche Angestellte_Der Bueroangestellte_15.1.1914

»Der Bureauangestellte« vom 15. Januar 1914.

»Der Bureauangestellte« war das Organ des Verbands der Bureauangestellten Deutschlands und trat für deren soziale Interessen ein. Am 15. Januar 1914 wurde die Doppelbelastung weiblicher Angestellter verdeutlicht. Während männliche Angestellte nach Arbeitsende meist ihrem Feierabend frönen konnten, begann für Frauen dann erst die Hausarbeit. Die Kernforderungen des Verbandes waren jene nach einer Verkürzung der Bürozeiten und einer angemessenen Bezahlung, welche sich jedoch auch aufgrund der fehlenden Anerkennung der Hausarbeit als Arbeit nicht durchsetzen ließen. Im Gegensatz zu anderen Angestelltenverbänden näherte sich der Verband der Bureauangestellten Deutschlands organisatorisch und inhaltlich den gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen der Arbeiter an.

Link zur Quelle: »Der Bureauangestellte« 15. Januar 1914.

Proteste gegen die Einschränkung des Koalitionsrechts

SPD und Gewerkschaften rufen zum Protest gegen die Einschränkung des Koalitionsrechts auf

Flugschrift der SPD-Parteileitung des Kreises Essen und des Gewerkschaftskartells des Kreises Essen mit Aufruf zu Protestveranstaltungen am 11. Januar 1914. Rechte: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Flugschrift der SPD-Parteileitung des Kreises Essen und des Gewerkschaftskartells des Kreises Essen mit Aufruf zu Protestveranstaltungen am 11. Januar 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Rückseite der Flugschrift. Rechte: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Rückseite der Flugschrift. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Schon in der Reichstagssitzung am 10. Dezember 1913 hatte Kuno von Westarp von der Deutschkonservativen Partei der Regierung ein Gesetz empfohlen, welches das Verbot des »Streikpostenstehens« und eine Beschränkung des Koalitionsrechts für Arbeiter vorsehen sollte. Die durch gewerkschaftliche Streikposten vor den Betrieben angewandte Praktik, Streikbrecher am Zutritt zu hindern, wurde in diesem Zusammenhang als »Terrorismus gegenüber arbeitswilligen Arbeitern« bezeichnet. Dem begegnete die Flugschrift der SPD und des Gewerkschaftskartells aus Essen mit einem scharfen Appell gegen Streikbrecher. Diese seien nichts anderes als Verräter: »für Geld und würdelose Zubilligung wird er seine Freunde verraten, seine Familie und sein Land.«

Dem Anraten, das Koalitionsrecht für Arbeiter einzuschränken, was die komplette Gewerkschaftsarbeit zunichte gemacht hätte, setzten die Verfasser der Flugschrift eine Auflistung verschiedener Maßnahmen gegen Arbeiterkoalitionen am Beispiel des Ruhrgebiets entgegen. Zudem betonten sie die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Unternehmern bei der Strafverfolgung. Um das zu verdeutlichen wurden Urteile gegen Streikende Arbeiterinnen und Arbeiter des Bergarbeiterstreiks 1912 angeführt. Sie verdeutlichen drastische Strafen; so wurde etwa das Rufen von »Pfui, Streikbrecher« mit zwei Monaten Haftstrafe geahndet.

Mit der Forderung nach einem Ende dieser »Zuchthausgesetze« und der Verwirklichung eines wirklichen Koalitionsrechts für Arbeiter wurde zu zwei Protestkundgebungen am 11. Januar in Essen aufgerufen, um der »Vergewaltigung eurer elementarsten Menschenrechte« Einhalt zu gebieten.

Im Januar und Februar 1914 kam es wie in Essen in vielen deutschen Städten zu öffentlichen Protestkundgebungen gegen die angedachte Gesetzesänderung.

Karikatur aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 718, vom 24.1.1914, S. 8215

Karikatur aus »Der Wahre Jacob«, Nr. 718, vom 24. Januar 1914, S. 8215.

Urteilsverkündung zur ›Zabern-Affäre‹

Straßburger Gericht verkündet Urteil im Prozess gegen Oberst Ernst von Reuter

Urteil Zabern-Affäre_10.1.1914

»Lübecker Volksbote« vom 12. Januar 1914.

Nach abfälligen Äußerungen seitens des Leutnants Günter von Forstner vom 2. Oberrheinischen Infanterie-Regiment 99 über die elsässische Bevölkerung, war es im November 1913 zu Demonstrationen im elsässischen Zabern (Saverne) gekommen. Das Militär hatte auf die Empörung der Bewohner mit unverhältnismäßiger Gewaltandrohung geantwortet und die zivile Verwaltung vorübergehend außer Kraft gesetzt. Die Vorfälle weiteten sich vom Südwesten ausgehend zu einer reichsweiten Krise aus. Im Dezember 1913 hatte die SPD in zahlreichen Städten des Kaiserreichs zu Protesten gegen die Übergriffe des Militärs aufgerufen – diese wuchsen zu einer Volksbewegung gegen den allgemeinen Militarismus und die »Militärdiktatur« Kaiser Wilhelm II. an. 6 Tage, vom 5. bis zum 10. Januar hatte der Prozess gegen Oberst Ernst von Reuter, Befehlshaber in Zabern, gedauert – er endete mit einem Freispruch. Das Gericht sah es, trotz eindeutiger Zeugenaussagen, nicht als erwiesen an, dass Reuter unrechtmäßig die Kontrolle in Zabern an sich gerissen hatte. Selbst Leutnant von Forstner, der in erster Instanz die Mindeststrafe erhalten hatte, wurde rückwirkend freigesprochen. Stattdessen wurden die Zivilbehörden gerügt, nicht das Nötige gegen die Proteste unternommen zu haben. Laut der im Volksboten in Teilen abgedruckten Urteilsverkündung hatte der Oberst »im guten Glauben« gehandelt. Der »Lübecker Volksbote« meinte im Urteil das Muster einer Zwei-Klassen-Rechtsprechung zu erkennen: Während ein »gewöhnlicher Soldat« schon bei kleineren Vergehen zu schweren Zuchthausstrafen verurteilt werde, hätten in diesem Fall Offiziere milde über Offiziere geurteilt. Diese »unhaltbaren Zustände« in »Preußen-Deutschland« würden auf all jene »aufpeitschend« wirken, die wollten, dass »nicht der Säbel sondern das Recht bei uns maßgebend sein soll«.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« 12. Januar 1914.

»Sonntagsruheschänder in Berlin«

Kontrollgänge zur Einhaltung der SonntagsruheSonntagsruheschänder1_HandlungsgehilfenZeitung 7.1.1914

Sonntagsruheschänder2_HandlungsgehilfenZeitung 7.1.1914

»Handlungsgehilfen-Zeitung« vom 7. Januar 1914.

Die vierzehntägig erscheinende »Handlungsgehilfen-Zeitung« war das Organ des Zentralverbands der Handlungsgehilfen. Während der völkisch-antisemitische Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband Juden und Frauen die Mitgliedschaft verwehrte, versuchte die sozialdemokratische Konkurrenzorganisation – der Zentralverband – für die Rechte aller kaufmännischen Angestellten einzutreten. Die politische Ausrichtung der Verbände hätte unterschiedlicher nicht sein können. Im Hinblick auf ihre Kampagnen für die Interessen der Handlungsgehilfen gab es jedoch auch Parallelen: eine davon ist das Bemühen um die Einhaltung der Sonntagsruhe. Durch eigene Nachtkontrollen in den Nächten von Samstag auf Sonntag sollte gewährleistet werden, dass Firmeninhaber ihre Angestellten pünktlich und gesetzesgemäß vor dem Sonntag aus der Arbeit entließen. Glaubt man dem Artikel, erzielten diese Kontrollgänge meist die gewünschte Wirkung. Er vermittelt aber auch einen Eindruck von den langen Arbeitszeiten, die Angestellte ableisten mussten.

Link zur Quelle: »Handlungsgehilfen-Zeitung« 7. Januar 1914.