»Des Kaisers Jagdglück«

Sozialdemokratische Presse nimmt Jagdvorliebe Kaiser Wilhelms II. auf die Schippe

Ironischer Kommentar des »Lübecker Volksboten« vom 9. Juni 1914.

Ironischer Kommentar des »Lübecker Volksboten« vom 9. Juni 1914.

Die ›standesgemäßen‹ Vorlieben des Kaisers, wie die Jagd, waren weit von der Lebenswirklichkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter entfernt. Aus Sicht einer Arbeiterfamilie, die sich tagtäglich abmühte, genug zu Essen auf dem Tisch zu haben, musste das Erlegen von 4.006 Wildtieren in einem Jahr zum bloßen Zeitvertreib höchst verschwenderisch wirken. Obwohl Wilhelm II. durch seine Eigenarten, Reden und nicht zuletzt die Daily-Telegraph-Affäre den Spott der Presse auf sich gezogen hatte, fungierte er für weite Teile der Bevölkerung noch immer als nationaler Identitätspunkt. Das galt auch für manchen Anhänger der Sozialdemokratie, in deren Reihen durchaus ambivalent über den Kaiser gesprochen wurde.[1] Für die Wortführer der SPD aber personifizierte er zuallererst ein überkommenes autokratisches Staatssystem, welches sie zu »Feinden des Reichs« erklärt hatte und sich noch immer einer Lösung der sozialen Frage verweigerte.

Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1908 auf der Jagd. Bundesarchiv, Bild 183-R43370 / CC-BY-SA, Quelle: Wikipedia.

Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1908 auf der Jagd. Bundesarchiv, Bild 183-R43370 / CC-BY-SA, Quelle: Wikipedia.

[1] Vgl. Richard J. Evans (Hrsg.), Kneipengespräche im Kaiserreich. Stimmungsberichte der Hamburger Politischen Polizei 1892–1914, Hamburg 1989, S. 328ff., und Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, München 2008, S. 679.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 9. Juni 1914.

»›Gleichheit‹ vor der Justiz«

Drei Männer wegen Schmierereien in Berlin zu hohen Strafen verurteilt

In der Nacht vom 10. auf den 11. März 1914 hatten ein Arbeiter und zwei Schlosser das Kaiser-Friedrich-Denkmal vor dem Charlottenburger Schloss in Berlin 14-mal in roter Farbe mit der Aufschrift »Rote Woche« beschmiert. Angefeuert von der bürgerlichen Presse verbreitete sich die Nachricht als Skandal im ganzen Reich. Am 8. Juni 1914 fällte das Berliner Landgericht nach nur etwa 20-minütiger Verhandlung ein betont abschreckendes Urteil: ein Jahr und sechs Monate Gefängnis für jeden der drei. Die Beseitigung der Schmierereien kostete dagegen nur 75 Mark.[1] Während von vielen Seiten Geldspenden für die Angehörigen der Verurteilten zusammengetragen wurden, kritisierten sozialdemokratische Blätter in den folgenden Tagen wiederholt die Unverhältnismäßigkeit des Richterspruchs. Der »Lübecker Volksbote« kontrastierte das Urteil mit der vergleichsweise milden Rechtsprechung gegenüber Studenten und Offizieren:

Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 13. Juni 1914.

Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 13. Juni 1914.

[1] Vgl. Ein Schreckensurteil, in: »Lübecker Volksbote« vom 9. Juni 1914.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 13. Juni 1914.

»Die Lage der großstädtischen Arbeiterbevölkerung«

Immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter ziehen in die Städte

Statistik zum Arbeitsmarkt in ausgewählten Städten in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 3. Juni 1914.

Statistik zum Arbeitsmarkt in ausgewählten Städten in der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 3. Juni 1914.

Im Zuge der Industrialisierung zogen große Teile der Bevölkerung innerhalb des Deutschen Reichs der Arbeit nach, vom Land in die Stadt. 1871 hatte es ganze 8 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern gegeben. Im Jahr 1910 zählte man bereits 48 dieser Großstädte. Die Urbanisierung führte gerade in den Ballungsräumen zu schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen. Durch den Zuzug wuchs das Problem der Arbeitslosigkeit. Daneben führte die steigende Nachfrage auch zu höheren Preisen für Lebensmittel und Mieten. Wie die Statistik der »Volksstimme« veranschaulichte, fiel die Entwicklung von Stadt zu Stadt recht unterschiedlich aus. Während sich die Lage im Jahr 1914 verglichen mit 1911 in einigen preußischen Städten sogar etwas entspannt hatte, waren Teuerung und Arbeitsplatzmangel in den beiden größten bayrischen Städten München und Nürnberg erheblich angestiegen.

Wer in der Stadt keine Arbeit fand, musste nach Auswegen suchen: Würstchenverkäufer mit zwei Kunden zwischen 1910 und 1914 (Bildausschnitt). Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Wer in der Stadt keine Arbeit fand, musste nach Auswegen suchen: Würstchenverkäufer mit zwei Kunden zwischen 1910 und 1914 (Bildausschnitt). Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Link zur Quelle: »Volksstimme« (Magdeburg) vom 3. Juni 1914.

Viertes schlesisches Arbeitersängerfest

Arbeitersänger schlagen der Breslauer Polizei ein Schnippchen

Postkarte von 1908 mit Arbeitersängergruß. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Postkarte von 1908 mit Arbeitersängergruß. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

An Pfingsten 1914 fand in Breslau das vierte schlesische Arbeitersängerfest statt. Die zuständigen Behörden hatten im Vorfeld zahlreiche Verbote ausgesprochen: Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren war die Teilnahme an den Veranstaltungen untersagt, welche nicht unter freiem Himmel stattfinden durften, Tanzen war nicht gestattet und Umzüge verboten. Das Fest wurde in der angrenzenden Landgemeinde Morgenau begangen. Wie die sozialdemokratische Presse berichtete, waren 98 Arbeitergesangsvereine erschienen. Die Polizei überwachte mit großem Aufgebot das volle Festlokal und den Weg zum Gewerkschaftshaus, um den im Anschluss befürchteten Umzug zu unterbinden – doch die Ordnungshüter warteten vergeblich. Erst am Morgen des zweiten Feiertags kam die Sängerschaft wieder zusammen. 400–500 Personen versammelten sich vor der Wohnung des Oberbürgermeisters und weitere Chöre vor dem Landratsamt und dem Regierungspräsidium. Um acht Uhr früh stimmten alle lauthals die Internationale an: »Wacht auf, Verdammte dieser Erde…«. Als die verständigte Polizei bei den »Konzertorten« eintraf, waren die Arbeitersänger schon weitergezogen.[1]

Ausschnitt des Titelblatts der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 2. Juni 1914.

Ausschnitt des Titelblatts der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 2. Juni 1914.

[1] Vgl. »Volksstimme« (Magdeburg) 4. Juni 1914.

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 2. Juni 1914.

Mehr zum Arbeiterlied: Erinnerungsorte der Sozialdemokratie.