SPD-Spitze ringt um die Frage ihrer Haltung zu Kriegskrediten
Der SPD-Reichstagsabgeordnete Eduard David skizziert in seinen Tagebuchaufzeichnungen zum 1. August 1914 das Ringen seiner Partei um die richtige Vorgehensweise, wenn im Reichstag über die Kriegskredite abgestimmt werde:
»Sonnabend, 1. August. Der Krieg scheint sicher. Ich spreche am Vormittag mit Scheidemann, der für Enthaltung zu sein scheint, aber bald sich überzeugt, daß die Bewilligung notwendig ist. Er hofft, [Hermann] Molkenbuhr und [August] Pfannkuch dafür zu gewinnen. Ebert ist in wichtiger Angelegenheit verreist. Frau Zietz ist für Ablehnung und nicht zu überzeugen. – Haase arbeitet mit Karl Kautsky an einer Erklärung für den Reichstag, die die Ablehnung begründen soll. Habe ein Gespräch mit ihm und versuche, ihn von der Notwendigkeit der Bewilligung zu überzeugen. Vergebens! Er ist überzeugt, daß sich keine Mehrheit für die Zustimmung findet, hält sie für das größte Unglück, das der Partei passieren könnte. […] Nachmittags 5 Uhr treffe ich mich mit Südekum, Göhre, Bernstein, Schöpflin, Heine, Robert Schmidt im Café Austria, Potsdamer Straße, zur Besprechung der Lage. Alle sind entschlossen, dafür zu stimmen.«[1]
Am Schluss der Besprechung im Café Austria traf ein Extrablatt ein, dass für große Erregung sorgte: Die Mobilmachung der deutschen Armee war angeordnet worden. David ging anschließend mit einem Kollegen durch die Berliner Hauptstraßen. Vor dem Schloss hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Kaiser Wilhelm II. erschien und erklärte, im Kriegsfall höre jede Partei auf, es gebe dann nur noch Deutsche.[2] Dass sich führende Sozialdemokraten trotz allen Entsetzens über die Entwicklungen noch immer an parteitaktischen Überlegungen orientierten, zeigt ein rückblickender Tagebuchauszug Hermann Molkenbuhrs vom 6. August 1914, der gerade aus dem Sommerurlaub nach Berlin zurückgekehrt war:
»[…] Sonnabend, 1. August wird die Mobilmachung angeordnet. Viele leidenschaftliche Militaristen geben ihre Freude laut zu erkennen. Diesen Berauschten Moralpredigten halten zu wollen, wäre falsch. Ist der Mann betrunken, und die Frau fängt an zu kritisieren, dann bekommt sie Prügel. Wartet sie, bis der Katzenjammer eingetreten ist, dann hat sie mehr Erfolg. Nach jedem Rausch folgt ein Katzenjammer. Auch bei kriegerischem Rausch folgt die Ernüchterung. […]«[3]
[1] Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 4f.
[2] Vgl. ebd., S. 5. Vgl. auch: Deutscher Reichsanzeiger und Königlicher Preußischer Staatsanzeiger, Berlin, 180, 3. August Abends 1914, Nichtamtliches, S. 4.
[3] Bernd Braun/Joachim Eichler (Hrsg.), Arbeiterführer – Parlamentarier – Parteiveteran. Die Tagebücher des Sozialdemokraten Hermann Molkenbuhr 1905 bis 1927, München 2000, S. 228f.