Erscheinen des SPD-Parteiorgans wird für drei Tage verboten
Unter den Bedingungen des Belagerungszustands und der Zensur war es für sozialdemokratische Redaktionen nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, ohne ihre Überzeugungen preiszugeben. Wegen ihres Festhaltens an einer den Krieg ablehnenden oder den Klassenkampf weiterhin thematisierenden Sprache wurden besonders der »Vorwärts« und die von Clara Zetkin herausgegebene »Gleichheit« häufig zensiert. Am 21. September 1914 wurde der »Vorwärts« sogar für drei Tage komplett verboten. Hinzu kam die sich nach der Bewilligung der Kriegskredite immer weiter auftuende Kluft innerhalb der Partei. Die Folge war ein regelrechtes Ringen um die Hoheit in der inhaltlichen Richtungsgebung, insbesondere im zentralen Parteiorgan. Die Generalkommission der Gewerkschaften beschwerte sich darüber, dass in der Zeitung zu wenig über deren sozialpolitische Einrichtungen geschrieben werde und auch Mitglieder des Parteivorstands bemängelten die Berichterstattung. Rosa Luxemburg sprach der »Vorwärts«-Redaktion als Leiterin der Pressekommission nach einer am 22. September abgehaltenen heftigen und langen Diskussion ihr Vertrauen aus.[1] In Opposition dazu schrieb Philipp Scheidemann in seine Memoiren:
»Des ›Vorwärts‹ wegen kam es immer häufiger zu Konflikten zwischen der Redaktion und dem Parteivorstand. Hugo Haase hatte seit dem Ausbruch des Krieges jeden Abend die Vorwärtsredaktion besucht und neben seinen juristischen Ratschlägen wegen der Zensur, die ›richtigen‹ Wege gewiesen, die nach seiner Auffassung im ›Vorwärts‹ unter allen Umständen innegehalten werden müßten. […] Jeder neue Tag brachte neuen Zwist wegen des ›Vorwärts‹. Die Berliner Pressekommission, mit dem Parteivorstand in Angelegenheiten des ›Vorwärts‹ gleichberechtigt, war vollständig in den Händen von Rosa Luxemburg. Die KK. [Kontrollkommission; überprüft die Arbeit des SPD-Parteivorstands], die höhere, in Konfliktsfällen entscheidende Instanz anzurufen, fiel dem Parteivorstand nicht ein, weil das nichts anderes gewesen wäre, als den Teufel bei seiner Großmutter, nämlich bei Klara Zetkin, zu verklagen.«[2]
Obwohl das Verbot nach drei Tagen aufgehoben wurde, häuften sich auch in der Folgezeit die Zensurrügen. Scheidemann urteilte, den Redakteuren fehle es an Gefühl dafür, was geschrieben werden könne und was nicht.[3]
[1] Vgl. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 43f.
[2] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 267f.
[3] Ebd., S. 268.