Mobilmachung und Krieg

Das Deutsche Reich erklärt Russland den Krieg, der Kaiser befiehlt die Mobilmachung

Nachdem Russland das Ultimatum, seine Mobilmachung rückgängig zu machen, verstreichen gelassen hatte, ließ die Reichsregierung am 1. August um 17 Uhr die Kriegserklärung überbringen. Zur gleichen Zeit ordnete Wilhelm II. die allgemeine Mobilmachung an. Frankreich hatte erklärt, es werde seinen Interessen gemäß handeln. Da die militärische Planung des deutschen Generalstabs zunächst einen Krieg im Westen vorsah, ging es nun darum, möglichst rasch auch den Kriegszustand mit Frankreich zu erwirken.[1]

Extrablatt mit der Meldung zur Kriegserklärung und dem Befehl zur Mobilmachung vom 1. August 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Extrablatt mit der Meldung zur Kriegserklärung und dem Befehl zur Mobilmachung vom 1. August 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Plakat des Reichsbankdirektoriums vom 1. August 1914 um einen Sturm auf die Banken zu verhindern. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Plakat des Reichsbankdirektoriums vom 1. August 1914 um dem Sturm auf die Banken entgegenzuwirken. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Vgl. Gerd Krumeich, Juli 1914. Eine Bilanz, Paderborn/München etc. 2014, S. 168–173.

»Der Krieg scheint sicher«

SPD-Spitze ringt um die Frage ihrer Haltung zu Kriegskrediten

Der SPD-Reichstagsabgeordnete Eduard David skizziert in seinen Tagebuchaufzeichnungen zum 1. August 1914 das Ringen seiner Partei um die richtige Vorgehensweise, wenn im Reichstag über die Kriegskredite abgestimmt werde:

»Sonnabend, 1. August. Der Krieg scheint sicher. Ich spreche am Vormittag mit Scheidemann, der für Enthaltung zu sein scheint, aber bald sich überzeugt, daß die Bewilligung notwendig ist. Er hofft, [Hermann] Molkenbuhr und [August] Pfannkuch dafür zu gewinnen. Ebert ist in wichtiger Angelegenheit verreist. Frau Zietz ist für Ablehnung und nicht zu überzeugen. – Haase arbeitet mit Karl Kautsky an einer Erklärung für den Reichstag, die die Ablehnung begründen soll. Habe ein Gespräch mit ihm und versuche, ihn von der Notwendigkeit der Bewilligung zu überzeugen. Vergebens! Er ist überzeugt, daß sich keine Mehrheit für die Zustimmung findet, hält sie für das größte Unglück, das der Partei passieren könnte. […] Nachmittags 5 Uhr treffe ich mich mit Südekum, Göhre, Bernstein, Schöpflin, Heine, Robert Schmidt im Café Austria, Potsdamer Straße, zur Besprechung der Lage. Alle sind entschlossen, dafür zu stimmen.«[1]
Eduard David war einer der zentralen Verfechter der Burgfriedenspolitik; hier ein Porträt aus dem Jahr 1908. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Eduard David war einer der zentralen Verfechter der Burgfriedenspolitik; hier ein Porträt aus dem Jahr 1908. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Am Schluss der Besprechung im Café Austria traf ein Extrablatt ein, dass für große Erregung sorgte: Die Mobilmachung der deutschen Armee war angeordnet worden. David ging anschließend mit einem Kollegen durch die Berliner Hauptstraßen. Vor dem Schloss hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Kaiser Wilhelm II. erschien und erklärte, im Kriegsfall höre jede Partei auf, es gebe dann nur noch Deutsche.[2] Dass sich führende Sozialdemokraten trotz allen Entsetzens über die Entwicklungen noch immer an parteitaktischen Überlegungen orientierten, zeigt ein rückblickender Tagebuchauszug Hermann Molkenbuhrs vom 6. August 1914, der gerade aus dem Sommerurlaub nach Berlin zurückgekehrt war:

»[…] Sonnabend, 1. August wird die Mobilmachung angeordnet. Viele leidenschaftliche Militaristen geben ihre Freude laut zu erkennen. Diesen Berauschten Moralpredigten halten zu wollen, wäre falsch. Ist der Mann betrunken, und die Frau fängt an zu kritisieren, dann bekommt sie Prügel. Wartet sie, bis der Katzenjammer eingetreten ist, dann hat sie mehr Erfolg. Nach jedem Rausch folgt ein Katzenjammer. Auch bei kriegerischem Rausch folgt die Ernüchterung. […]«[3]

[1] Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 4f.
[2] Vgl. ebd., S. 5. Vgl. auch: Deutscher Reichsanzeiger und Königlicher Preußischer Staatsanzeiger, Berlin, 180, 3. August Abends 1914, Nichtamtliches, S. 4.
[3] Bernd Braun/Joachim Eichler (Hrsg.), Arbeiterführer – Parlamentarier – Parteiveteran. Die Tagebücher des Sozialdemokraten Hermann Molkenbuhr 1905 bis 1927, München 2000, S. 228f.

Die Wende: SPD-Parteiführung stellt ihre Agitation gegen den Krieg ein

SPD-Parteivorstand ruft zur Zurückhaltung auf

Abbruch der Antikriegsbewegung: Aufruf des SPD-Parteivorstands vom 31. Juli 1914 im »Lübecker Volksboten« vom 1. August 1914.

Abbruch der Antikriegsbewegung: Aufruf des SPD-Parteivorstands vom 31. Juli 1914 im »Lübecker Volksboten« vom 1. August 1914.

Am 1. August 1914 veröffentlichten die sozialdemokratischen Zeitungen den am Vortag verfassten Aufruf des SPD-Parteivorstands. Er drückte die Abkehr von der bisherigen Friedensrhetorik aus, vor allem um die Organisation nicht zu gefährden. Die Warnung des Reichskanzlers hatte gefruchtet. Zur gleichen Zeit erschien in einigen Parteizeitungen ein Artikel von Friedrich Stampfer, der eigentlich vom Parteivorstand, insbesondere durch Einspruch Hugo Haases, zurückgerufen worden war, da er die offizielle Stellungnahme deutlich übertraf:

»Sein oder Nichtsein!
Solange es die Möglichkeit gibt, den Frieden zu retten, gibt es nur eine Pflicht: für ihn zu arbeiten. In dem Augenblick aber, in dem das weltgeschichtliche Ringen beginnt – und wir wissen nicht, um wieviel Stunden wir von ihm getrennt sind – ändern sich auch die Aufgaben des deutschen klassenbewußten Proletariats.
Deutschland wird dann mit einem Bundesgenossen, der mit starker Heeresmacht auf einem anderen Kriegsschauplatz festgehalten ist, gegen zwei Fronten – vielleicht obendrein noch in der Nordsee gegen England zu kämpfen haben. Das ist ein Krieg, gegen den der von 1870/71 ein Kinderspiel war.
Die ungeheure Mehrheit des deutschen Volkes hat diesen Krieg nicht gewollt. Aber es gibt in Deutschland keine Partei, keine Gruppe und – wir glauben – keinen Menschen, der in diesem Krieg eine Niederlage Deutschlands will. […]
Niederlage aber wäre gleichbedeutend mit Zusammenbruch, Vernichtung und namenlosem Elend für uns alle. […] Wenn die verhängnisvolle Stunde schlägt, dann werden die Arbeiter das Wort einlösen, das von ihren Vertretern für sie abgegeben worden ist. Die ›vaterlandslosen Gesellen‹ werden ihre Pflicht erfüllen und sich darin von den Patrioten in keiner Weise übertreffen lassen. […]«[1]

Der »Vorwärts«-Redakteur und Herausgeber einer von sozialdemokratischen Zeitungen oft genutzten Korrespondenz schrieb hier gegen die Ablehnung der Kriegskredite an und wollte die SPD damit vor Repressalien wie zur Zeit der ›Sozialistengesetze‹ bewahren. Die Angst davor vermischte sich mit dem patriotischen Gedanken an eine Verteidigung des Vaterlands, besonders gegen das zaristische Russland.[2] Die Kriegsschuldfrage spielte bei Stampfer keine Rolle: Er beschwor stattdessen Vernichtung und Elend im Falle einer Niederlage.[3]

Friedrich Stampfer im Jahr 1921. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Friedrich Stampfer im Jahr 1921. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Arthur Crispien, Redakteur bei der »Schwäbischen Tagwacht« in Stuttgart, hielt dazu in seinem Tagebucheintrag vom 3. August 1914 fest:

»Was wird die sozialdemokratische Reichstagsfraktion machen? Wird sie Kriegskredite ablehnen?
Die Haltung der meisten einlaufenden Parteizeitungen ist würdelos und erbärmlich. Diese Blätter bringen einen Stampferartikel, so russenfeindlich und so patriotisch, dass er ruhig hätte in hurrapatriotischen bürgerlichen Zeitungen erscheinen können.
Ich schäme mich solcher Sozialdemokraten.«[4]

[1] Der vollständige Artikel findet sich abgedr. in: Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 240f., Anm. 206 (Hervorhebungen wie dort). Vgl. dazu auch Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 239ff.
[2] Vgl. Kruse, Krieg und nationale Integration, S. 62.
[3] Vgl. ebd., S. 69.
[4] 1/ACAA000006, Nachlass Arthur Crispien, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 1. August 1914.