Großbritannien erklärt dem Deutschen Reich den Krieg

»Ein schwerer und verhängnisvoller Bruch des Völkerrechts« – Ausschnitt aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 6. August 1914.

»Ein schwerer und verhängnisvoller Bruch des Völkerrechts« – Ausschnitt aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 6. August 1914.

Dem Schlieffen-Plan folgend, begann am 4. August 1914 der Einmarsch deutscher Soldaten in Belgien. Anders als von den Generälen erwartet, stieß man dabei auf größeren Widerstand: Vor Lüttich entbrannten heftige Kämpfe. Da Deutschland auf die Forderung Englands, die Neutralität Belgiens zu respektieren, nicht eingegangen war und zudem eindeutig das Völkerrecht missachtet hatte, erklärte das Empire dem Kaiserreich den Krieg. Die Dynamik der Gewalt hatte eine rasante Beschleunigung erfahren. Innerhalb von nur vier Tagen waren nun alle fünf europäischen Großmächte am Krieg beteiligt.[1]

[1] Vgl. Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014, S. 110.

Link zur Quelle: »Volksstimme« (Magdeburg) vom 6. August 1914.

Spionagefurcht

Nationalistische Übergriffe und Angst vor Sabotageakten im Deutschen Reich3.8. Spionagefurcht_Volkswacht (Breslau) 1_Sozialdemokratie1914

Spionagefälle und Hetze gegen Sozialdemokraten – Meldungen der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 3. August 1914.

Spionagefälle und Hetze gegen Sozialdemokraten – Meldungen der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 3. August 1914.

Die sich seit Ende Juli zuspitzende Ausnahmesituation im Angesicht eines Weltkriegs führte nicht nur zu Jubelrufen oder Besorgnis seitens der Bevölkerung; es entstand nicht nur jenes oft als »Augusterlebnis« bezeichnete nationale Einheitsgefühl, sondern in manchen Städten auch ein von Verdächtigungen, Schmähungen und Selbstjustiz geprägtes Klima. Davon waren vor allem ausländische Personen aber auch Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten betroffen. Arthur Crispiens Aufzeichnungen vom 3. August 1914 zeichnen ein chaotisches Bild der Entwicklung in Stuttgart und zeigen auf, wie zerrissen selbst die Anhänger der Sozialdemokratie waren:

»Im Metallarbeiterheim schimpfen Gewerkschaftsbeamte auf mich: ich solle mich auf einen Zaun stellen und zum Massenstreik auffordern. Auch Sozialdemokraten! Ich empfinde Scham und Ekel vor solchen Burschen.
In der Stadt sind die Menschen vor Spionagefurcht verrückt.
Menschen werden unschuldigerweise halbtot geschlagen. Männer und Frauen werden überfallen, wenn sie ›fremd‹ aussehen.
Der Hurrapöbel ist von Spionenwüterichen abgelöst.
Bei der Genossin Zetkin war gestern früh um 5 Uhr Haussuchung.
Sie soll Russen beherbergen und mit Russen korrespondieren.
Tag und Nacht stehen bewaffnete Bürger aus Sillenbuch vor dem Hause der Genossin Zetkin Wache. […]
[Die Zeitschriften] Jakob und Gleichheit sind konfisziert worden.
Nachts: Ein Scheinwerfer sucht den Himmel nach Luftschiffen ab.
Zwischen 11 und 12 fallen etwa 20 Schüsse. […]«[1]
Clara Zetkin hatte selbst in einem Brief über die Durchsuchung berichtet. Ausschnitt aus dem Brief Clara Zetkins vom 2. August 1914 wegen Verlegung der Internationalen Konferenz der Sozialistischen Frauen und Arbeiterinnenorganisationen.

Clara Zetkin hatte selbst in einem Brief über die Durchsuchung berichtet. Ausschnitt aus dem Brief Clara Zetkins vom 2. August 1914 wegen Verlegung der Internationalen Konferenz der Sozialistischen Frauen und Arbeiterinnenorganisationen.

In den folgenden Tagen wurde Crispien, der eine weitere Agitation für den Frieden befürwortete, mehrfach durch Zurufe oder anonyme Briefe mit dem Tod gedroht. Erst am 8. August nahm er eine Entspannung der Lage wahr:

»Die Stuttgarter Bevölkerung scheint im allgemeinen von ihrer geistigen Krankheit (Spionitis) geheilt zu sein. Es ist wieder möglich, ohne Lebensgefahr durch die Stadt zu gehen«.[2]
Arthur Crispien (rechts) zusammen mit Wilhelm Dittmann beim Parteitag der USPD in Leipzig am 30. November 1919. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Arthur Crispien (rechts) zusammen mit Wilhelm Dittmann beim Parteitag der USPD in Leipzig am 30. November 1919. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] 1/ACAA000006, Nachlass Arthur Crispien, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
[2] Ebd.

Links zu den Quellen: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 3. August 1914 und Brief Clara Zetkins vom 2. August 1914 wegen Verlegung der Internationalen Konferenz der Sozialistischen Frauen und Arbeiterinnenorganisationen.

Diskussion um Kriegskredite

SPD-Reichstagsfraktion lässt sich vom Verteidigungskrieg überzeugen

Philipp Scheidemann war am 3. August 1914 für 12 Uhr Mittags mit dem Parteivorsitzenden Hugo Haase zu einer Besprechung mit Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg geladen worden. An der Besprechung nahmen auch Vertreter der anderen Reichstagsparteien und Staatssekretär Clemens Delbrück teil:

»Wir sprachen zunächst in zwangloser Weise, ohne Platz zu nehmen, über die Vorlagen, die in Verbindung mit der Kreditvorlage angenommen werden sollten. Der Reichskanzler hielt uns dann die Rede, die er am nächsten Tage im Reichstage vortrug; hier und da flocht er mehr oder weniger vertrauliche Bemerkungen ein. Je näher er zum Schluß kam, um so bewegter wurde er; er wußte vor Aufregung nicht, wo er mit den langen Armen hin sollte. Zeitweilig schlug er mit beiden Fäusten auf den Tisch. Geradezu tonlos war seine Stimme geworden, als er sagte: ›Mein Gewissen ist rein!‹«[1]

Der Reichskanzler hatte zudem durchblicken lassen, dass die Regierung vergeblich versucht habe, den Frieden zu bewahren, und dass sie die Sozialdemokratie und deren Presse unangetastet lasse, sofern diese nichts gegen ihre Maßnahmen unternehme.[2] Bethmann Hollweg verdeutlichte so die scheinbar ohne eigenes Zutun auferlegte Notwendigkeit zum Krieg – nicht ohne durch den Verweis auf Repressalien auch eine indirekte Drohung zu übermitteln.

Nachmittags beriet die SPD-Reichstagsfraktion ihr Verhalten für den nächsten Tag, an dem im Reichstag über die ersten Kriegskredite abgestimmt werden sollte. Während der intensiven Debatte traf Hermann Müller aus Paris ein und berichtete, dass die französischen Sozialisten im Falle eines Angriffs Deutschlands das französische Kriegsbudget unterstützen würden. Unter diesen Eindrücken wurde die Diskussion fortgesetzt, bei deren Ende 78 Abgeordnete für die Bewilligung stimmten. Hauptargument der Befürworter war, dass sich die Sozialdemokratie entgegen aller Anfeindungen ihrer Gegner durchaus in der Pflicht sah, ihr Vaterland zu verteidigen.[3] Die maßgeblich von Eduard David vertretene reformistische Linie hatte sich durchgesetzt. Nur etwa 14 Abgeordnete stimmten dagegen.[4] Unter den Gegnern waren Haase, Georg Ledebour und Karl Liebknecht. Des Weiteren wurde beschlossen, von einer Debatte im Reichstagsplenum abzusehen und stattdessen den eigenen Standpunkt in einer Erklärung darzulegen.[5] Dass diese Entscheidung gegenüber der Parteibasis und der Öffentlichkeit erklärungsbedürftig war, resultierte nicht nur aus dem Umschwenken von Friedensrufen zur Bewilligung, sondern auch aus der inneren Unsicherheit Vieler über deren Tragweite.

Neben Friedrich Ebert Vorsitzender der SPD: Porträt Hugo Haases aus dem Jahr 1912. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Neben Friedrich Ebert Vorsitzender der SPD: Porträt Hugo Haases aus dem Jahr 1912. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 250.
[2] Vgl. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 7.
[3] Vgl. Scheidemann, Memoiren, S. 252ff.
[4] Die Angaben zu den Gegenstimmen weichen in den Quellen voneinander ab. Übereinstimmend werden genannt: Albrecht, Antrick, Bock, Geyer, Haase, Henke, Herzfeld, Ledebour, Lensch, Liebknecht, Rühle, Vogtherr. Außerdem von Eduard David: Kunert und Raute; von Eugen Prager: Peirotes und der nicht anwesende Emmel, der sich im Nachhinein dagegen aussprach; von Paul Frölich: Kunert und Peirotes. Heinrich Ströbel, Die Kriegsschuld der Rechtssozialisten, Berlin 1919, S. 12, berichtet ohne Namensnennung von 16 Gegenstimmen. Vgl. Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918. Zweiter Teil, bearb. v. Erich Matthias u. Eberhard Pikart (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 3/II), Düsseldorf 1966, S. 3, insb. Anm. 4.
[5] Vgl. ebd., S. 3f.

Deutsches Reich erklärt Frankreich den Krieg

Krieg mit Frankreich – Schlagzeile der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 4. August 1914.

Krieg mit Frankreich – Schlagzeile der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 4. August 1914.

Am 3. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Frankreich den Krieg. Nun herrschte Krieg an zwei Fronten. Der Plan des Generalstabs für diesen Fall, nach seinem Verfasser Alfred Graf von Schlieffen benannt, existierte schon seit 1905 und wurde von dessen Nachfolger Generaloberst Helmuth von Moltke überarbeitet. Er sah den Vormarsch durch das neutrale Belgien und einen durch die Überraschung begünstigten schnellen Sieg gegen Frankreich vor, um danach gegen Russland vorgehen zu können.

Links zu den Quellen: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 4. August 1914 und der Schlieffen-Plan als Faksimile mit Einleitung und Transkription bei: 100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.

»Zu den Waffen«

Erster Mobilmachungstag im Deutschen Reich

Befehl zur Mobilmachung im »Lübecker Volksboten« vom 3. August 1914.

Befehl zur Mobilmachung im »Lübecker Volksboten« vom 3. August 1914.

Nach Bekanntgabe der Kriegserklärung wurden die Stimmen der Kriegsbefürworter lauter. Besonders in den Städten des Reiches verbreiteten sie eine regelrechte Freudenstimmung. In schwelgender Erinnerung an den Krieg 1870/71 erwartete man schnelle Siege.[1] Dieses Phänomen steigerte sich nach der Bewilligung der Kriegskredite zwei Tage später nochmals und erfasste auch Teile der Arbeiterbewegung. Die Loyalität gegenüber dem internationalen Sozialismus einerseits und dem nationalen Staat andererseits führte innerhalb der SPD, ja selbst innerhalb einzelner Personen, zu großen Spannungen. Während manche nun auf eine rasche Kriegshandlung und anschließenden Frieden hofften, hielten andere an ihrer unbedingten Ablehnung des Kriegs fest.[2] Die lange Zeit unter dem Schlagwort »Augusterlebnis« firmierende, massenhaft angenommene Kriegsbegeisterung in Europa muss heute differenzierter betrachtet werden. Zwar gab es nationalistische Jubelbekundungen für den Krieg, für die meisten Menschen war der Befehl zur Mobilmachung aber ein Schreckerlebnis.[3] Dennoch mussten sie ihm Folge leisten. Bei Ausbruch des Kriegs wurde rechnerisch jedes zweite SPD-Mitglied zum Militär eingezogen. Bis zum Jahr 1917 stieg diese Quote auf 75%.[4]

Auch der Landsturm, alle Wehrpflichtigen im Alter von 17 bis 42 respektive 45 Jahren, wurde einberufen. Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 3. August 1914.

Auch der Landsturm, alle Wehrpflichtigen im Alter von 17 bis 42 respektive 45 Jahren, wurde einberufen. Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 3. August 1914.

[1] Zu den gesellschaftlichen Ursachen der Kriegsbegeisterung vgl. etwa: Thomas Rohkrämer, Der Militarismus der »kleinen Leute«. Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich 1871–1914 (= MGFA (Hrsg.), Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 29), München 1990, insb. S. 83–146 und 263–270.
[2] Vgl. Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 90–98.
[3] Vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013, S. 707, insb. die in Anm. 208 angegebene Literatur.
[4] Vgl. Eintrag zum 2. August 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 3. August 1914.

»Eine Zeit der schwersten Prüfung«

Freie Gewerkschaften stellen Lohnkämpfe ein

Mitteilung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands im »Lübecker Volksboten« vom 3. August 1914.

Mitteilung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands im »Lübecker Volksboten« vom 3. August 1914.

Am 2. August 1914 beschloss die Vorständekonferenz der Gewerkschaften, alle Lohnbewegungen und Streiks abzubrechen. Dennoch appellierte sie an alle Arbeiterinnen und Arbeiter, ihren Organisationen treu zu bleiben, um eine Fortsetzung der gewerkschaftlichen Bemühungen zu gewährleisten. Nur so sei der vorhersehbaren Not der Arbeiterschaft im Krieg mithilfe von Unterstützungsleistungen entgegenzuwirken. Am selben und am folgenden Tag traf die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands mit dem preußischen Landwirtschaftsministerium ein Übereinkommen über ihre Mithilfe bei der Einbringung der Ernte. Arbeitskräfte, die in der Industrie nicht benötigt wurden, sollten zu ortsüblichem Tagelohn und bei freier Wohnung und Verpflegung in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Diese Vereinbarung war die erste offizielle Anerkennung der Vertragsfähigkeit der freien Gewerkschaften seitens staatlicher Behörden.[1]

[1] Vgl. den Eintrag zum 2. und 3. August 1914, in: Dieter Schuster, Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918. Electronic ed., Bonn 2000.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 3. August 1914.