Beratungen in Brüssel

Internationales Sozialistisches Büro debattiert über Maßnahmen gegen den Krieg

Am 29. Juli 1914 vertraten SPD-Parteivorsitzender Hugo Haase und Karl Kautsky ihre Partei beim außerplanmäßigen Treffen des Internationalen Sozialistischen Büros in Brüssel. Dort berieten sie zusammen mit anderen führenden Persönlichkeiten der europäischen Arbeiterbewegung wie Jean Jaurès, Pieter Jelles Troelstra, Émile Vandervelde und Keir Hardie die aktuelle Situation und arbeiteten an einer Stellungnahme gegen den Krieg.[1] Rosa Luxemburg war als Vertreterin der polnischen Sozialisten angereist. Haase, der eigentlich kein Tagebuch führte, hielt seine Bemühungen um die Aufrechterhaltung der internationalen Verbindungen der Arbeiterbewegung Ende Juli 1914 in Notizen fest. Insbesondere die Bemerkung des österreichischen Sozialdemokraten Victor Adler, dass er nicht an einen Weltkrieg glauben wolle, stand im Gegensatz zur der von Haase, Kautsky und Luxemburg vertretenen Position – sie warnten vor der akuten Kriegsgefahr und drängten auf schärfere Maßnahmen seitens der Internationale.[2]

Anlässlich seines zehnten Todestags veröffentlichte der »Vorwärts« in seiner Beilage »Der Abend« am 7. November 1929 bis dato unveröffentlichte tagebuchartige Aufzeichnungen Hugo Haases.

Anlässlich seines zehnten Todestags veröffentlichte der »Vorwärts« in seiner Beilage »Der Abend« am 7. November 1929 bis dato unveröffentlichte tagebuchartige Aufzeichnungen Hugo Haases.

[1] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 237.
[2] Vgl. Dem Gedächtnis Hugo Haases. Unveröffentlichtes zu seinem zehnten Todestag, in: »Vorwärts«, Beilage »Der Abend« vom 7. November 1929; vgl. auch Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 45f.

»Landesverräter«

Während Tausende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gegen den Krieg demonstrierten, wurden sie von der konservativen Presse als »Landesverräter« beschimpft.

Ausschnitt aus der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 31. Juli 1914 mit Zitat aus der konservativen »Kreuzzeitung« (Neue Preußische Zeitung).

Ausschnitt aus der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 31. Juli 1914 mit Zitat aus der konservativen »Kreuzzeitung« (Neue Preußische Zeitung).

Link zur Quelle: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 31. Juli 1914.

Massendemonstrationen gegen den Krieg

Tausende Anhänger der Arbeiterbewegung protestieren in den Städten des Kaiserreichs

Ausschnitt der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 28. Juli 1914.

Ausschnitt der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 28. Juli 1914.

Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Am 28. Juli 1914 und in den Folgetagen kam es in allen größeren Städten des Reichs zu Massenprotesten gegen den Krieg. Dabei folgten Tausende dem Aufruf des Parteivorstands und der sozialdemokratischen Presse. Im Kölner Volkshaus fand mit etwa 10.000 Demonstranten eine der größten Veranstaltungen in der Geschichte der dortigen Arbeiterschaft statt.[1] In Berlin Unter den Linden kam es nach den Erinnerungen Philipp Scheidemanns zu einem tagelangen »Sängerkrieg«: »Zeitweilig wurden die Patrioten durch die Proletariermassen zur Ruhe gezwungen, dann aber waren sie wieder obenauf.«[2] Seit mehreren Tagen hatten sich Kriegsbefürworter und Kriegsgegner gegenseitig beschimpft und lauthals Lieder gesungen. Nach den ersten Jubelmärschen am Abend des 25. Juli hatte die Berliner SPD Gegenveranstaltungen organisiert.[3] Auswertungen der sozialdemokratischen Presse und lokalgeschichtlicher Studien zeigen eine hohe Beteiligung und eine weiträumige Ausbreitung der Antikriegsproteste: Zwischen dem 26. und dem 31. Juli 1914 demonstrierten weit mehr als 500.000 Menschen auf mindestens 288 Antikriegsversammlungen in 163 Städten und Gemeinden.[4]

Bildausschnitt: Sozialdemokratische Friedensdemonstration in Berlin auf dem Weg zum Treptower Park 1914. Rechteinhaber unbekannt, Quelle: SPD.

Bild: Sozialdemokratische Friedensdemonstration in Berlin auf dem Weg zum Treptower Park 1914, Ausschnitt SPD-Plakat. Rechteinhaber: ARE; Quelle: AdsD der FES [6/PLKA014453].

[1] Vgl. Manfred Faust, Krieg, Revolution, Spaltung. Die Kölner Sozialdemokratie 1914 bis 1920, in: Sozialdemokratie in Köln, Köln 1986, S. 83–104, hier: S. 83.
[2] Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 236.
[3] Zu den ersten Demonstrationen Unter den Linden vgl. Die Berliner Demonstration, in: »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 27. Juli 1914.
[4] Vgl. hierzu die Auswertung und Tabellen bei: Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 30–42, insb. S. 31.

Links zu den Quellen: »Volksstimme« (Magdeburg) vom 28. Juli 1914 und »Lübecker Volksbote« vom 28. Juli 1914.

Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg

Jetzt sprechen die Waffen

Nachdem das gestellte Ultimatum in den Augen Österreich-Ungarns nicht zufriedenstellend beantwortet worden war, erklärte Kaiser Franz Joseph I. Serbien den Krieg. Einen Tag später wurde die serbische Hauptstadt Belgrad von Kriegsschiffen aus beschossen.

Meldung des »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Meldung des »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Österreich-Ungarn verfügte mit der Donauflottille über eine kleine Kriegsflotte für Binnengewässer. Gleich zu Beginn des Kriegs wurden die Kanonenboote eingesetzt. Ausschnitt aus der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 28. Juli 1914.

Österreich-Ungarn verfügte mit der Donauflottille über eine kleine Kriegsflotte für Binnengewässer. Gleich zu Beginn des Kriegs wurden die Kanonenboote eingesetzt. Ausschnitt aus der »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 28. Juli 1914.

Links zu den Quellen: »Lübecker Volksbote« vom 28. Juli 1914 und »Volkswacht« für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete vom 28. Juli 1914.

 

Brief an den Parteivorstand

Parteivorsitzender Friedrich Ebert schreibt von Rügen

Friedrich Ebert, der sich noch immer auf Rügen im Urlaub befand und nur sehr spärliche Informationen zum politischen Geschehen erhielt, erfuhr erst am 27. Juli vom Ultimatum an Serbien. Am selben Tag erreichte ihn auch die Extraausgabe des »Vorwärts« mit dem Aufruf des Parteivorstands.[1] Sofort verfasste er einen Brief an seine Genossen im Vorstand. Hierin wird deutlich, dass er einen Kriegsausbruch zwar für möglich hielt, aber nicht fest mit ihm rechnete. Zudem sorgte er sich um den Zusammenhalt der Partei. Ohne zu wissen, dass das Internationale Sozialistische Büro bereits einberufen worden war, empfahl er diese Maßnahme. Ebert schrieb:

»Breege auf Rügen, 27.7.1914

Liebe Kollegen!
Die Zwackel soll der Teufel holen! Mit der Ruhe zu Ferien scheint´s alle zu sein. Besonders beunruhigend wirkt, daß man nun so abseits vom Verkehr liegt und nicht recht weiß, was los ist. Über Euren Aufruf habe ich mich gefreut. Er trifft das Richtige. Durch die Extraausgabe des Vorwärts kam er auch im passenden Zeitpunkt. Die Versammlungen werden sicher imposante Kundgebungen werden. […]
Aber was nun? Sind weitergehende Maßnahmen in Aussicht genommen? Basel [Internationaler Sozialistenkongress 1912, d. Verf.] kann man doch nicht wiederholen. Dagegen erschien mir eine Kundgebung der I.S.B. zweckmäßig. Das Bureau wird ja ohnedies zusammentreten müssen. Denn wenn es wirklich zum Krachen kommt, dann kann doch der Kongreß nicht tagen, wenigstens nicht in Wien.
In unserem Parteiinnern wird´s wohl auch Schwierigkeiten geben. Krieg und die mächtige Wiederbelebung der Arbeiterbewegung in Rußland werden die Rosagruppe doch mit neuen Plänen erfüllen.
Ich bitte Euch sehr, mich schnell zu informieren. Selbstverständlich bin ich gern bereit, sofort zurückzukommen. Wir sind hier ja gut aufgehoben. Bei dieser Situation kommt man aber, wie gesagt, doch nicht zur Ruhe.
Herzliche Grüße an Euch alle Euer Fritz.«[2]

[1] Vgl. Dieter K. Buse, Ebert and the Coming of World War I. A Month from his Diary, in: International Review of Social History 13, 1968, S. 430–448, hier: S. 440.
[2] Friedrich Ebert, Schriften, Aufzeichnungen, Reden. Mit unveröffentlichten Erinnerungen aus dem Nachlaß, Bd. 1, Dresden 1926, S. 309.

Massenstreik?

Landesparteitag der SPD in Württemberg beschließt Antikriegsresolution

Bericht über den SPD-Landesparteitag in Esslingen im »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Bericht über den SPD-Landesparteitag in Esslingen im »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Am 25. und 26. Juli 1914 beriet der Landesparteitag der SPD Württembergs in Esslingen über die Kriegsgefahr. Er verabschiedete eine von Clara Zetkin begründete Resolution, die sich gegen den drohenden Krieg richtete. Darin gelobten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sich nachdrücklich für den Erhalt des Friedens einzusetzen, und verwiesen dabei auf das russische Proletariat:

»Sie [die Vertreter der SPD Württembergs, d. Verf.] begrüßen das heldenhafte revolutionäre Proletariat Rußlands, das aufs neue im Kampf für das wirtschaftliche und politische Recht der Ausgebeuteten die Waffe des Massenstreiks erprobt. Sie begrüßen es als einen starken Hort des Friedens in dieser verhängnisschweren Zeit. Indem das russische Proletariat durch den Massenstreik den Zarismus, einen der gewissenlosesten Kriegstreiber, lähmt, beweist es durch die Tat, welch starke Macht eine kühne, opferbereite Arbeiterklasse in den Kampf für Freiheit und Frieden einzusetzen vermag.«[1]

Führende Sozialisten, wie der Franzose Jean Jaurès, hatten den internationalen Massenstreik als Druckmittel gegen Krieg mehrfach ins Feld geführt.[2] Innerhalb der deutschen Sozialdemokratie überwogen jedoch innenpolitische Überlegungen[3] und die Tendenz, sich lieber als Teil der deutschen Gesellschaft zu beweisen, als wieder zum »Reichsfeind« erklärt zu werden.

[1] »Schwäbische Tagwacht« vom 27. Juli 1914.
[2] Vgl. Wolfgang Kruse, Der Antikriegsstreik in der internationalen Arbeiterbewegung, in: Andreas Gestrich/Gottfried Niedhart/Bernd Ulrich (Hrsg.), Gewaltfreiheit. Pazifistische Konzepte im 19. und 20. Jahrhundert (= Jahrbuch für Historische Friedensforschung 5), Münster 1996, S. 60–79, hier: S. 70f.
[3] Vgl. ebd., S. 78.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 28. Juli 1914.