»Unsere Aufgaben«

Proletarische Frauen Deutschlands werden zur Mithilfe aufgerufen

Fabrikarbeiterinnen mit Kindern. Noch mehr als zuvor mussten Frauen wegen des Kriegs in Industrie und im Dienstleistungssektor arbeiten. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTB005049.

Fabrikarbeiterinnen mit Kindern. Noch mehr als zuvor mussten Frauen wegen des Kriegs in Industrie und im Dienstleistungssektor arbeiten. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTB005049.

Seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs galt das Hauptaugenmerk des SPD-Parteivorstands und der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands der Aufrechterhaltung der Arbeiterorganisationen und ihrer Unterstützungshilfen – was unter den Bedingungen des Kriegs- und Belagerungszustands nicht einfach war. Nach den Forderungen zur Absicherung der Lebensmittelversorgung riefen sie insbesondere Frauen zur Unterstützung hilfsbedürftiger Arbeiterfamilien auf. Die massenhafte Einberufung von Familienvätern zwang viele Mütter zur Ausweitung ihrer Erwerbsarbeit. Leittragend waren hier besonders die Kinder. Neben anderen Unterstützungsmaßnahmen zielte Luise Zietz in ihrem Aufruf in der »Gleichheit« vom 28. August 1914 vor allem darauf ab, für deren Betreuung und Ernährung zu sorgen.28.8. Unsere Aufgaben_Die Gleichheit_Sozialdemokratie1914

»Unsere Aufgaben« – Beitrag von Luise Zietz aus »Die Gleichheit« vom 28. August 1914.

»Unsere Aufgaben« – Beitrag von Luise Zietz aus »Die Gleichheit« vom 28. August 1914.

›Germanisierung‹

Im Kaiserreich wird eingedeutscht

Dass sich die öffentliche Meinung im Kaiserreich zunehmend gegen Fremdes richtete, bekamen auch Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu spüren. Es schien eine regelrechte Welle der ›Germanisierung‹ im Gange zu sein. Eduard David schrieb am 21. August 1914 in ironischem Ton in sein Tagebuch:

»Man ändert englische und französische Firmenschilder, Warenaushänge usw. Man erklärt dem Fremdländischen den Krieg und berichtet mit Genugtuung, daß der General [Otto] v. Emmich den Orden pour le mérite erhalten habe. – Die Speisekarten werden verdeutscht. Ob die Fürsten ihre französischen Küchenchefs entlassen werden? – Man gibt die englischen, russischen, japanischen Orden dem Roten Kreuz zum Einschmelzen. Ob die Fürsten, Diplomaten, Staatsmänner und Generale dem Beispiel folgen werden? Und wie wird man es halten mit dem französischen Sekt, dem russischen Kaviar usw.?«[1]

Für David war diese national ausgerichtete Entwicklung äußerst widersinnig, was er am Beispiel der Herrscherfamilien festmachte:

»Der Zar, der jetzt offiziell als Lügner und Lump gekennzeichnet wird, ist zu dreiviertel deutscher Abstammung. […] Die englische Königsfamilie ist mit der preußischen eng verschwistert und verschwägert. Seltsam, daß der Kanal eine so scharfe Grenze für die Charakterbildung bedeutet! Diesseits nur edelste Gesinnung, Wahrhaftigkeit und Tüchtigkeit, jenseits Neid, Krämergeist und Hinterlist. Da das Blut dasselbe ist, woher die Unterschiede?«[2]

Die umfangreichen Bemühungen der Sozialdemokratie für eine internationale Verständigung wurden durch den Krieg nahezu unmöglich gemacht. So fiel 1914 nicht nur der X. Internationale Sozialistenkongress in Wien, sondern auch die für den 21. August geplante Internationale Konferenz Sozialistischer Frauen und Arbeiterinnen-Organisationen aus.

[1] Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 19f.
[2] Ebd.

Nationalismus versus Internationalismus

Diskussionen über die Bedeutung der Sozialistischen Internationale

Die innerparteilichen Kontroversen zwischen den Befürwortern der Kriegskredite und deren Gegnern waren zugunsten der ersteren entschieden worden. Trotz vereinzelt auftretender Kritik am eingeschlagenen Weg der Parteiführung schienen diese vorerst beigelegt zu sein. Währenddessen traten auch bei den Fürsprechern des Burgfriedens höchst unterschiedliche Ansichten zutage. Der Reichstagsabgeordnete und das Mitglied des SPD-Fraktionsvorstands Eduard David und der Herausgeber der »Sozialistischen Monatshefte« Joseph Bloch diskutierten am Nachmittag des 19. August 1914 über die Bedeutung der Sozialistischen Internationale und des Pazifismus. Auslöser war ein von Bloch am 13. August veröffentlichter Artikel mit dem Titel »Der Krieg und die Sozialdemokratie«, in dem er die Einheit des deutschen Volks durch den Krieg positiv hervorhob.[1] David kritisierte den von Bloch vertretenen Nationalismus. Am 19. August notierte er:

»Gespräch mit Bloch, der einen feinen Artikel über Nationalismus in den Monatsheften geschrieben hat. Er läuft aber Gefahr, die Bedeutung der Internationale dabei ganz zu verlieren. […] Des Pazifismus, meint er, schäme sich heute jeder Vernünftige. Wir hätten längst sollen für Rüstungsausgaben stimmen. Ich rücke die Kampflust, Kriegsbegeisterung usw. in das Licht biologischer Betrachtung. Erkenne ihre historische und gegenwärtige Macht an. Verweise ihn aber auch auf die biologische Bedeutung der Friedensinstinkte und -ideen und ihren wachsenden Einfluß. Sie waren noch nicht stark genug, diesen Krieg zu verhindern, werden aber gerade aus diesem Krieg neue große Kraft saugen. Dem Aufstieg zu höherer Zweckmäßigkeit in der wirtschaftlichen und politischen, nationalen und internationalen Organisation der Völker entspricht auch die Entwicklung der psychologischen Friedensmächte. Ihnen gehört trotz alledem die Zukunft.«[2]

[1] Joseph Bloch, Der Krieg und die Sozialdemokratie, in: Sozialistische Monatshefte, 13. August 1914, S. 1023–1027.
[2] Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, bearb. v. Susanne Miller (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik, hrsg. v. Werner Conze u. Erich Matthias, Bd. 4), Düsseldorf 1966, S. 18f.

Mehr zu Joseph Bloch und den »Sozialistischen Monatsheften«: Hubert Woltering, Die »Sozialistischen Monatshefte« (1895/96–1933).

 

Schnelle Siege?

Der geplante schnelle Vorstoß im Westen scheitert

Dem überarbeiteten Schlieffen-Plan folgend, waren deutsche Soldaten am 4. August 1914 in das neutrale Belgien einmarschiert. Der Plan der Militärs, ohne größeren Widerstand durch das Land zu marschieren und Festungsanlagen, wie bei Lüttich, handstreichartig einzunehmen, hatte sich als Illusion entpuppt. Noch am 8. August schrieb Karl Kautsky für »Die Neue Zeit«:

»Indessen, so wenig sich heute über die Aussichten des Ringens und die Art seines Abschlusses sagen läßt, so darf man doch eines schon jetzt mit voller Sicherheit voraussagen: die Welt wird nach diesem Kriege ganz anders aussehen als heute.
Wir hoffen und dürfen erwarten, daß er relativ kurz sein wird.«[1]

Die in weiten Teilen der Bevölkerung herrschende Erwartung eines zwar heftigen, aber kurzen Kriegsverlaufs[2], wurde mit jeder Nachricht von den Kriegsschauplätzen und jeder Verlustliste geschmälert. Mit der Eisenbahn, die die gewaltigen Truppenbewegungen zur Front ermöglichte, kamen jetzt neben ersten Kriegsgefangenen auch Hunderte verwundete Soldaten zurück. Es verfestigte sich die Einsicht, dass sich der Krieg länger hinziehen würde als erhofft. In einem Brief an Kautsky schrieb Eduard Bernstein am 16. August 1914:

»Lieber Kautsky, […]
Es sieht fast so aus, als ob der Kriegsplan der deutschen Heeresleitung an einem Punkt nicht geklappt hat und nun geändert wird. Ich glaube an keine ernsthafte Niederlage der deutschen Truppen auf dem Schlachtfeld, aber mit raschen Siegen à la 1870 scheint es nicht gehen zu wollen. Es giebt ein wüthendes Morden, das, wenn Vermittlungsaktionen nicht eingreifen, in der Tat zu revolutionären Erhebungen führen kann. Beste Grüße
Dein Ed. Bernstein«[3]
Meldung des »Lübecker Volksboten« vom 15. August 1914 zu Kriegsgefangenen und Verwundeten.

Meldung des »Lübecker Volksboten« vom 15. August 1914 zu Kriegsgefangenen und Verwundeten.

[1] Karl Kautsky, Der Krieg, in: Die Neue Zeit vom 21. August 1914, S. 843–846, hier: S. 844.
[2] Vgl. zu den Kriegsvorstellungen im Juli 1914: Gerd Krumeich, Juli 1914. Eine Bilanz, Paderborn/München etc. 2014, S. 50ff. und 185.
[3] Eva Bettina Görtz (Hrsg.), Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Karl Kautsky (1912–1932) (= Quellen und Studien zur Sozialgeschichte, hrsg. v. Internationalen Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam, Bd. 22), Frankfurt am Main/New York 2011, S. 22f.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 15. August 1914.

Lebensmittelversorgung im Krieg

SPD-Parteivorstand und Generalkommission fordern Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung

Am 13. August 1914 unterbreiteten der SPD-Parteivorstand und die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands dem Reichsamt des Innern ein Programm, in dem grundlegende Maßnahmen für eine durchgreifende Organisation der gesamten Ernährung gefordert wurden.[1] Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs begann die Bevölkerung mit Hamsterkäufen, was die ohnehin schon hohen Lebensmittelpreise weiter steigen ließ. Diese Entwicklung traf Arbeiterfamilien in besonderem Maße. Zwar wurden in einigen Kommunen Höchstpreise für Lebensmittel festgesetzt, was aber keine Sicherung der Ernährungslage bedeutete. Die umfassenden sozialdemokratischen Forderungen beinhalteten auch die Aufhebung der Gesindeordnungen, die Festsetzung eines Minimallohns und Beschränkungen der Alkoholproduktion zugunsten von Nahrungsmitteln. Der 2. August 1914 hatte innerhalb der Gewerkschaften die Hoffnung genährt, in Zukunft als anerkannter Gesprächspartner mehr Einfluss geltend machen zu können.

Ausschnitt aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 15. August 1914.

Ausschnitt aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 15. August 1914.

Anstehen für Brot während des Ersten Weltkriegs – vor allem Frauen und Kinder warten in der langen Schlange. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-R00012 / CC-BY-SA.

Anstehen für Brot während des Ersten Weltkriegs – vor allem Frauen und Kinder warten in der langen Schlange. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-R00012 / CC-BY-SA.

[1] Vgl. auch den Eintrag vom 13. August 1914, in: Franz Osterroth/Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Electronic ed., Bd. 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Bonn 2001.

Link zur Quelle: »Volksstimme« (Magdeburg) vom 15. August 1914.

Gedenken an August Bebel

Erster Todestag des SPD-Gründervaters

Zitate August Bebels und Wilhelm Liebknechts über den Krieg. Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 13. August 1914.

Zitate August Bebels und Wilhelm Liebknechts über den Krieg. Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 13. August 1914.

Auf den Tag ein Jahr zuvor, am 13. August 1913, war SPD-Gründervater August Bebel in der Schweiz gestorben. Für die deutsche Sozialdemokratie und die Arbeiterschaft war er noch immer eine zentrale Identifikationsfigur. Durch Büsten und Porträts wurde das Andenken an den »Kaiser der Arbeiter« in den Stuben bewahrt. Seine Reden und Schriften wurden oft herangezogen – gerade wenn es um grundsätzliche Fragen der Politik ging. Anlässlich seines ersten Todestags druckten zahlreiche sozialdemokratische Zeitungen Bebels Aussagen gegen das zaristische Russland, was den von der Partei eingeschlagenen Kurs rechtfertigte. Das ging mitunter so weit, dass der entschiedene Gegner des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71 als Befürworter des nun herrschenden Konflikts erschien; alles unter der Prämisse, dass man zur Verteidigung gegen den Zarismus gezwungen war.

Gelöbnis in Bebels Geist gegen das »Moskowitertum« zu kämpfen. Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 14. August 1914.

Gelöbnis in Bebels Geist, gegen das »Moskowitertum« zu kämpfen. Ausschnitt des »Lübecker Volksboten« vom 14. August 1914.

Bebel als Kämpfer für den Völkerfrieden. Ausschnitt aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 14. August 1914.

Bebel als Kämpfer für den Völkerfrieden. Ausschnitt aus der »Volksstimme« (Magdeburg) vom 14. August 1914.

Anzeige im »Lübecker Volksboten« vom 5. Februar 1914.

Anzeige im »Lübecker Volksboten« vom 5. Februar 1914.

Auf der Beerdigung August Bebels 1913 in Zürich: Luise Kautsky, Emma und Victor Adler, Karl Kautsky und Johann Heinrich Wilhelm Dietz (vordere Reihe). Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA007113.

Auf der Beerdigung August Bebels 1913 in Zürich: Luise Kautsky, Emma und Victor Adler, Karl Kautsky und Johann Heinrich Wilhelm Dietz (vordere Reihe). Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTA007113.

Links zu den Quellen: »Lübecker Volksbote« vom 5. Februar 1914; »Lübecker Volksbote« vom 13. August 1914; »Lübecker Volksbote« vom 14. August 1914 und »Volksstimme« (Magdeburg) vom 14. August 1914.

Weitere Quelle: Nachruf für August Bebel von Eduard Bernstein, in: Sozialistische Monatshefte, 21. August 1913.