Brief an den Parteivorstand

Parteivorsitzender Friedrich Ebert schreibt von Rügen

Friedrich Ebert, der sich noch immer auf Rügen im Urlaub befand und nur sehr spärliche Informationen zum politischen Geschehen erhielt, erfuhr erst am 27. Juli vom Ultimatum an Serbien. Am selben Tag erreichte ihn auch die Extraausgabe des »Vorwärts« mit dem Aufruf des Parteivorstands.[1] Sofort verfasste er einen Brief an seine Genossen im Vorstand. Hierin wird deutlich, dass er einen Kriegsausbruch zwar für möglich hielt, aber nicht fest mit ihm rechnete. Zudem sorgte er sich um den Zusammenhalt der Partei. Ohne zu wissen, dass das Internationale Sozialistische Büro bereits einberufen worden war, empfahl er diese Maßnahme. Ebert schrieb:

»Breege auf Rügen, 27.7.1914

Liebe Kollegen!
Die Zwackel soll der Teufel holen! Mit der Ruhe zu Ferien scheint´s alle zu sein. Besonders beunruhigend wirkt, daß man nun so abseits vom Verkehr liegt und nicht recht weiß, was los ist. Über Euren Aufruf habe ich mich gefreut. Er trifft das Richtige. Durch die Extraausgabe des Vorwärts kam er auch im passenden Zeitpunkt. Die Versammlungen werden sicher imposante Kundgebungen werden. […]
Aber was nun? Sind weitergehende Maßnahmen in Aussicht genommen? Basel [Internationaler Sozialistenkongress 1912, d. Verf.] kann man doch nicht wiederholen. Dagegen erschien mir eine Kundgebung der I.S.B. zweckmäßig. Das Bureau wird ja ohnedies zusammentreten müssen. Denn wenn es wirklich zum Krachen kommt, dann kann doch der Kongreß nicht tagen, wenigstens nicht in Wien.
In unserem Parteiinnern wird´s wohl auch Schwierigkeiten geben. Krieg und die mächtige Wiederbelebung der Arbeiterbewegung in Rußland werden die Rosagruppe doch mit neuen Plänen erfüllen.
Ich bitte Euch sehr, mich schnell zu informieren. Selbstverständlich bin ich gern bereit, sofort zurückzukommen. Wir sind hier ja gut aufgehoben. Bei dieser Situation kommt man aber, wie gesagt, doch nicht zur Ruhe.
Herzliche Grüße an Euch alle Euer Fritz.«[2]

[1] Vgl. Dieter K. Buse, Ebert and the Coming of World War I. A Month from his Diary, in: International Review of Social History 13, 1968, S. 430–448, hier: S. 440.
[2] Friedrich Ebert, Schriften, Aufzeichnungen, Reden. Mit unveröffentlichten Erinnerungen aus dem Nachlaß, Bd. 1, Dresden 1926, S. 309.

Massenstreik?

Landesparteitag der SPD in Württemberg beschließt Antikriegsresolution

Bericht über den SPD-Landesparteitag in Esslingen im »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Bericht über den SPD-Landesparteitag in Esslingen im »Lübecker Volksboten« vom 28. Juli 1914.

Am 25. und 26. Juli 1914 beriet der Landesparteitag der SPD Württembergs in Esslingen über die Kriegsgefahr. Er verabschiedete eine von Clara Zetkin begründete Resolution, die sich gegen den drohenden Krieg richtete. Darin gelobten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sich nachdrücklich für den Erhalt des Friedens einzusetzen, und verwiesen dabei auf das russische Proletariat:

»Sie [die Vertreter der SPD Württembergs, d. Verf.] begrüßen das heldenhafte revolutionäre Proletariat Rußlands, das aufs neue im Kampf für das wirtschaftliche und politische Recht der Ausgebeuteten die Waffe des Massenstreiks erprobt. Sie begrüßen es als einen starken Hort des Friedens in dieser verhängnisschweren Zeit. Indem das russische Proletariat durch den Massenstreik den Zarismus, einen der gewissenlosesten Kriegstreiber, lähmt, beweist es durch die Tat, welch starke Macht eine kühne, opferbereite Arbeiterklasse in den Kampf für Freiheit und Frieden einzusetzen vermag.«[1]

Führende Sozialisten, wie der Franzose Jean Jaurès, hatten den internationalen Massenstreik als Druckmittel gegen Krieg mehrfach ins Feld geführt.[2] Innerhalb der deutschen Sozialdemokratie überwogen jedoch innenpolitische Überlegungen[3] und die Tendenz, sich lieber als Teil der deutschen Gesellschaft zu beweisen, als wieder zum »Reichsfeind« erklärt zu werden.

[1] »Schwäbische Tagwacht« vom 27. Juli 1914.
[2] Vgl. Wolfgang Kruse, Der Antikriegsstreik in der internationalen Arbeiterbewegung, in: Andreas Gestrich/Gottfried Niedhart/Bernd Ulrich (Hrsg.), Gewaltfreiheit. Pazifistische Konzepte im 19. und 20. Jahrhundert (= Jahrbuch für Historische Friedensforschung 5), Münster 1996, S. 60–79, hier: S. 70f.
[3] Vgl. ebd., S. 78.

Link zur Quelle: »Lübecker Volksbote« vom 28. Juli 1914.

»Wir wollen keinen Krieg!«

SPD-Parteivorstand ruft zu Friedenskundgebungen auf

Aufruf des SPD-Parteivorstands zu Massenversammlungen gegen den Krieg in der Extraausgabe des »Vorwärts« vom 25. Juli 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Aufruf des SPD-Parteivorstands zu Massenversammlungen gegen den Krieg in der Extraausgabe des »Vorwärts« vom 25. Juli 1914. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Aufgrund des am Vortag bekannt gewordenen Wortlauts des Ultimatums an Serbien forderte der SPD-Parteivorstand »im Namen der Menschlichkeit und der Kultur« am 25. Juli 1914 von der Reichsregierung, sich durch Einflussnahme auf Österreich für die »Aufrechterhaltung des Friedens« einzusetzen und sich im Kriegsfalle »jeder kriegerischen Einmischung« zu enthalten. Alle Organisationen der Arbeiterbewegung sollten durch sofortige Friedenskundgebungen gegen den drohenden Weltkrieg protestieren.[1] Damit wollte man auch ein Zeichen gegen die von nationalistischen Kreisen organisierte »Kriegshetze« setzen. Noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag kam es in Berlin und weiteren Städten zu Demonstrationen von Tausenden Kriegsbegeisterten, die lauthals einen Sieg gegen Frankreich herbeiwünschten.[2] Philipp Scheidemann, der im Urlaub vom Ultimatum erfahren hatte, war sofort in Richtung Berlin aufgebrochen.[3] Die Eindrücke nach seiner Ankunft hielt er in seinen Memoiren fest:

»Es gab nur ein Gesprächsthema: ›Krieg‹. Die Anhänger des Kriegs schienen in der großen Mehrheit zu sein. Waren die kampfbegeisterten Jünglinge, Männer und Greise von allen guten Geistern verlassen? Waren sie alle so vollkommen im Unklaren über das Furchtbare eines Krieges?«[4]
Gruppenaufnahme von Mitgliedern des SPD-Parteivorstands mit Wilhelm Dittmann, Emil Barth, Hugo Haase, Philipp Scheidemann und Friedrich Ebert (beim Parteitag 1913 in Jena). Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Gruppenaufnahme von Mitgliedern des SPD-Parteivorstands mit Wilhelm Dittmann, Emil Barth, Hugo Haase, Philipp Scheidemann und Friedrich Ebert (beim Parteitag 1913 in Jena). Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[1] Vgl. dazu Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 30.
[2] Vgl. Die Politik der Straße, in: »Volksstimme« (Magdeburg) vom 28. Juli 1914.
[3] Vgl. Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 234.
[4] Ebd., S. 235.

Das Ultimatum an Serbien

Es droht unmittelbare Kriegsgefahr

Ausschnitt der Meldung zum Ultimatum im »Lübecker Volksboten« vom 24. Juli 1914.

Ausschnitt der Meldung zum Ultimatum im »Lübecker Volksboten« vom 24. Juli 1914.

Am 24. Juli 1914 wurde der Wortlaut des am Vortag übergebenen Ultimatums an Serbien bekannt. Wie der »Lübecker Volksbote« kommentierte, erschien es ausgeschlossen, dass Serbien »diese äußerst weitgehenden Forderungen« erfüllen würde. Die Folge seien »kriegerische Verwicklungen«, in welche auch Deutschland hineingezogen werden könne.[1] Dass Kaiser Wilhelm II. bereits den »Blankoscheck«, die Zusage seiner uneingeschränkten Unterstützung jedweder Maßnahme gegen Serbien, an Österreich-Ungarn übermittelt hatte, war der Öffentlichkeit nicht bekannt. Der SPD-Parteivorstand erkannte jetzt die akute Kriegsgefahr: Er berief eine außerplanmäßige Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros für den 29. Juli in Brüssel ein und bereitete einen Aufruf als Reaktion vor.[2] Auch innerhalb der Arbeiterschaft wurden die neuesten Nachrichten diskutiert. In dem von einem verkleideten Polizisten in einer Hamburger Schankwirtschaft morgens gegen halb neun mitgehörten Gespräch dreier Arbeiter sagte einer:

»Ich glaube, daß es diesmal ernst wird. Serbien kann nicht in allem nachgeben, was Österreich verlangt. […] Hoffentlich spielt sich die Sache zwischen Serbien und Österreich allein ab. Wenn Rußland sich in die Händel einmischt, denn werden wir auch in einen Krieg mit verwikkelt. Ich bin froh, daß ich nicht mehr mit brauche. Denn mich für andere Leute totschießen zu lassen, dazu habe ich keine Lust.«[3]

[1] Vgl. Ein Ultimatum an Serbien, in: »Lübecker Volksbote« vom 24. Juli 1914.
[2] Vgl. Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, S. 30.
[3] Richard J. Evans (Hrsg.), Kneipengespräche im Kaiserreich. Stimmungsberichte der Hamburger Politischen Polizei 1892–1914, Hamburg 1989, S. 415.

Sommerurlaub

Parteivorsitzender Friedrich Ebert fährt nach Rügen, Philipp Scheidemann in die Berge

Der spätere SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert um 1910.

Der spätere SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert um 1910. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ende Juli begann Friedrich Ebert damit, seine Gedanken und Erlebnisse in Tagebuchnotizen festzuhalten. Sein erster im Rückblick verfasster Eintrag für den 14. Juli 1914 beginnt wie folgt:

»Ich reiste mit meiner Frau und zwei Kindern nach Bre[e]ge auf Rügen. Oesterreich verhandelte wegen dem Attentat wohl noch mit Serbien, an neue Kriegsgefahr hat aber von uns niemand gedacht. Die erste Woche las ich keine Zeitung. Den Vorwärts hatte man mir trotz Aufforderung nicht zugeschickt. Erst in der zweiten Woche erhielt ich ihn, aber erst zwei Tage später. Die Postverbindung war sehr schlecht.«[1]

Nach dem Attentat von Sarajevo hatte sich die Situation scheinbar wieder entspannt. Zwar rechnete man mit gegebenenfalls kriegerischen Sanktionen gegenüber Serbien seitens der Habsburgermonarchie, aber nicht mit einer Eskalation der Lage. Schließlich deutete auch das Handeln der europäischen Staatsoberhäupter nicht darauf hin: Kaiser Franz Joseph I. weilte in seiner Sommerresidenz in Bad Ischl, Kaiser Wilhelm II. war am 6. Juli zu einer Nordlandreise aufgebrochen und auch die französische Staatsspitze reiste am 16. Juli zu einem seit Längerem anberaumten Besuch nach St. Petersburg, wenn auch letztere Reise teilweise unter militärischen Vorzeichen stand.[2] Im Hintergrund waren Militärs und Geheimdiplomatie aber schon dabei, die Bedingungen für eine militärische Lösung auszuloten.[3] Die Memoiren des SPD-Reichstagsfraktionsvorsitzenden Philipp Scheidemann zur Urlaubszeit im Juli 1914 lesen sich wie ein negatives Omen:

»Nach aufregender politischer Tätigkeit und bürokratischer Fronarbeit im Jahre 1914 hatte ich mein Edelweiß des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins an den Hut gesteckt […], um in den Bergen wieder einen Vorschuß auf die Seligkeit zu nehmen. […] Nicht weit vom Pordoijoch entfernt, auf dem Wege zum Bamberger Haus, stießen wir, meine Tochter Luise und ich, auf österreichische Alpentruppen, die Geländeübungen machten. Sie fuhren, Pickel oder Bergstöcke als Steuer benutzend, stehend in Sandreißen [= Geröllfelder] ab, hatten aber zahlreiche Unfälle, so daß wir sehr viel Blut sehen mussten. In den meisten Fällen handelte es sich um Kopfverletzungen. Viele noch ungeübte Soldaten stürzten beim Abfahren und schlugen mit den Köpfen auf. Als wir die Hütte am Fuße der Marmolata erreicht hatten, roch es dort, wie in einem Krankenhaus, nach Karbol, ein im Hochgebirge erfreulicherweise nicht allzu häufiges Parfum.«[4]

[1] Kriegsnotizen des Reichspräsidenten Fritz Ebert, abgedr. in: Dieter K. Buse, Ebert and the Coming of World War I. A Month from his Diary, in: International Review of Social History 13, 1968, S. 430–448, hier: S. 439f.
[2] Vgl. Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014, S. 89f.
[3] Vgl. Gerd Krumeich, Juli 1914. Eine Bilanz, Paderborn/München etc. 2014, S. 69ff.
[4] Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 232f.

Mehr zu Friedrich Ebert: Friedrich Ebert 1871–1925. Vom Arbeiterführer zum Reichspräsidenten.

Antimilitaristische Versammlung in Condé-sur-l’Escaut

Karl Liebknecht nimmt an Friedensdemonstration in Frankreich teil

Gruppenaufnahme der antimilitaristischen Versammlung in Condé sur l'Escaut mit Karl Liebknecht, Jean Longuet, L. Vandersmissen, Pierre Delcourt, Maxence Roldes und anderen. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Gruppenaufnahme der antimilitaristischen Versammlung in Condé sur l’Escaut mit Karl Liebknecht, Jean Longuet, L. Vandersmissen, Pierre Delcourt, Maxence Roldes und anderen. Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

In seiner 1915 veröffentlichten Polemik gegen den Krieg beschrieb Karl Liebknecht die Versammlung vom 12. Juli 1914, zu der er neben belgischen und französischen Vertretern der Sozialistischen Internationale eingeladen war:

»Die Straßen von Conde waren mit Guirlanden, Tafeln, Plakaten reich geschmückt, die in vielen Sprüchen Krieg dem Kriege predigten. Über 20.000 Arbeiter aus der französischen und belgischen Umgebung mit Hunderten von Fahnen und Standarten nahmen an dem Umzug durch das altertümliche Städtchen und an der anschließenden Versammlung teil, die auf einer Wiese vor den Toren stattfand.«[1]

Nach einem Bericht des Karlsruher »Volksfreunds« wurde er mit den Rufen »Vive Liebknecht!«, »Vive Bebel!«, »Vive Karl Marx!«, »Vive l’Internationale!« und »Vive l’Allemagne!« begrüßt.[2] In seiner Rede kritisierte er unnütze Staatsgrenzen und rief zum internationalen Klassenkampf gegen die Kriegshetzer auf. Am folgenden Tag fuhr Liebknecht weiter nach Paris, wo er zusammen mit Jean Jaurès die politische Lage erörterte.

[1] Karl Liebknecht, Klassenkampf gegen den Krieg! Material zum „Fall Liebknecht“, [Nachdruck] o.O. 1915, S. 3.
[2] »Volksfreund« (Karlsruhe) vom 18. Juli 1914.